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Schlagwort: Empathie

Derealisationen (7)

Ziemlich missverständlich: „die Bereitschaft, Fremdheit bestehen zu lassen, um sich näher zu kommen.“ (DR6) Das heiß nicht, die Anderen nicht auch mal ändern zu wollen. Sie im eigenen Sinne und Interesse zu beeinflussen (Was wäre sonst Politik?). Das seltsame therapeutische Dogma, immer nur sich selbst ändern zu können, ist Selbstaufgabe und Weltverneinung zugleich. Paartherapeutische Homöopathie! Oder sogar: Desinteresse am Anderen, getarnt als Toleranz. Außerdem bedeutet diese scheinbare Toleranz nicht, Fremdheit wirklich zu akzeptieren, sondern eher sie nicht mehr wichtig oder wahrzunehmen. Sie ist das Gegenteil von Empathie.

Fremdheit zu akzeptieren, hat mit einem Willen zur Veränderung erstmal gar nichts zu tun. Ob es nun das Selbst oder den Anderen betrifft. Akzeptanz des Fremden liegt sozusagen noch vor dem eigenen Wollen; sie besteht in der passiven Bereitschaft überhaupt anzunehmen, dass es vom Selbst Unabhängiges gibt.

Wer sich lieber als Teil von allem sehen will – biologisch, spirituell, kosmisch und so -, muss ja – paradoxerweise – erst annehmen, dass es von ihm Unterschiedenes gibt. Das psychologische Konstrukt des Selbst sollte daher als Medium verstanden werden, durch das Person und Welt miteinander vermittelt werden. Das Selbst ist die Öffnung zur Welt, die wir als Wesen mit Bewusstsein brauchen und – auch paradox –  zugleich das, was uns als eigenständiges Wesen vom Rest der Welt unterscheidet. 

Das heißt, dass wir uns nicht als Selbst begreifen könnten, gäbe es nicht die anderen, die auch ein Selbst sind. Und: Je empathischer diese Fremdwahrnehmung ist, desto besser lernen wir uns selbst kennen.

Derealisationen (6)

Warum sind Menschen als soziale Wesen geschaffen, wenn sie sich nur asozial verhalten können. Na ja, nicht nur, aber doch hauptsächlich, meistens, fast immer eigentlich. Empathie war eine schöne Erfindung psychologischer Theorie oder Prosa oder Fiktion. Oder gibt es das wirklich, dieses Mitgehen, zeitweise Aufgehen im Anderen, das Verlassen der eigenen Spur, um fühlend verstehen zu wollen, was im anderen Menschen vorgeht? Oder ist das eine Illusion. Humanistischer Kitsch?

Jedenfalls gibt es Empathie sicher nicht ohne Anstrengung. Man muss sich darum bemühen, es zu wollen. Die Voraussetzung für dieses Wollen ist eine allgemeine Weltzugewandtheit. Eine Offenheit, die die Menschen mit einschließen muss, da sie als Subjekte zwar irgendwie anders sind als man selbst und natürlich anders als die Objekte, aber sie sind eben Teile der Welt, die nicht zum eigenen Selbst gehören. Allein das zu realisieren, kann schon eine Kränkung sein: Alle anderen interessieren sich auch nur für sich selbst! Gut, man kommt drüber weg, wenn man will. Damit beginnt ja erst das eigene Mitmenschentum. 

Es ist irritierend, sich selbst – mal nicht den Anderen – als Mitmensch zu begegnen. Das bedeutet immerhin, von sich abzusehen und dass ohne wirklich hinauszukommen aus dem Zentrum der Welt, das man selbst ist. Vielleicht ist es auch eine Frage der Gewohnheit. Aber es muss sein, wenn man sich von der (Un)Menschlichkeit befreien will, die darin besteht, andere immer nur durch den Schleier der eigenen Bedürfnisse zu sehen.

Worin müsste die Bemühung um den Anderen bestehen? Eigentlich ist es einfach, aber dann doch zu viel verlangt: Gib alle Ansprüche auf. Auch wenn wir nur normalbedürftig sein sollten, also keine pathologischen Narzissten sind, ist es schwer, die Welt so zu betrachten, als wäre sie nicht als Objekt unserer Begierde geschaffen. Dass sie subjekthaft, eigenständig existiert, also ganz unabhängig von uns denkbar ist, darin besteht eine noch größere Kränkung als in der Erkenntnis des eigenen Mitmenschentums. „Denkbar“ deshalb, weil sie „erlebbar“ nicht ohne uns stattfinden kann. Das kann sie nur theoretisch. Nämlich nach dem Tod, der ja praktisch für den Sterbenden selbst nie eintritt.
Das Nachdenken über … ist deshalb so wichtig, weil es keine Distanz geben kann ohne den Schritt der denkenden Abstraktion. Keine Distanz zwischen uns und der Welt, was bedeuten würde – wie Mystiker gern behaupten -, dass wir mit allem eins wären. Das kann ja sein und macht Sinn, da wir als Körper Teil des allgemeinen Stoffkreislaufs sind, aber so erleben wir uns nicht. Das Gefühl der kosmischen Verbundenheit stellt doch eine psychologische Ausnahme dar gegenüber dem Normalerleben der Befremdung, die uns immer wieder fragen lässt, wo wir hier eigentlich hinein geraten sind. Ins Leben eben, ist die nichtssagende Antwort.

Sich bei diesen Fragen allein auf‘s Gefühl zu verlassen, ist Quatsch. Man sollte nicht der gängigen Verunglimpfung des Denkens als irgendwie lebensschädlich trauen. In bestimmten psychologischen Schulen und von Esoterikern  wird „das Fühlen“ gegen „das Denken“ in Stellung gebracht und zur einzig authentischen Regung des echten, also nicht theoretischen, Lebens überhöht. Bloß nicht zu viel Nachdenken, sich ganz auf das Gefühl verlassen und so weiter. Denken soll ein unnötiger Umweg sein. Aber wohin eigentlich? Wohin sind die Gefühle unterwegs? Und wo kommen sie her? Aus unserem „authentischen Selbst“, dem „inneren Kern unserer Persönlichkeit“ und so ähnlich. Einmal darüber nachgedacht, müsste eigentlich klar sein, dass es das alles gar nicht gibt. Jedenfalls nicht ohne denkende Abstraktion.

Wer sich nur auf sein Gefühl verlässt, schließt sich in sich selbst ein, und andere aus. Das reine Gefühl kann nicht von sich absehen. Es ist ganz bei sich, nie beim anderen. Es braucht den Bruch des Denkens, um sich selbst als getrennt von allem anderen zu erfahren. Und es in dieser Distanz eigenständig existieren zu lassen. 

Einfühlung in Andere ist möglich. Weder dürfen die Gefühle des Anderen ganz in den eigenen aufgehen, noch darf das Verlangen, den Anderen verstehen zu wollen, umschlagen in Gedanken, die seine Erfahrungen mit den eigenen abgleichen.  Empathie braucht die Bereitschaft, Fremdheit bestehen zu lassen, um sich näher zu kommen.

Und all das gilt auch für die autoempathische Selbstbeschäftigung. 

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