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Schlagwort: Angst

Derealisationen (3)

Es ist doch eine ziemliche abwegige Idee: Dass der Vater schützend vor dem Sohn stehe und dessen Unbewußtes gegen die Angst vor der eigenen Sterblichkeit abschirmt (siehe DR 2). Das Gegenteil ist wohl eher der Fall. Der Vater bedroht die kleine, symbiotische Welt des Muttersohns. Als Beschützer hat der „gute“ Vater das Kind vor allem vor dem Vater selbst zu retten.

Die meisten Väter, die ich kenne, sind selbst nicht erwachsen. Trotzdem bestehen sie darauf, ihren Kindern die Realität beizubringen. In Form von Regeln und unnützen Geschenken. Als wären Männer, die Väter sind, noch weniger in der Lage, über sich selbst nachzudenken. Und über Gesellschaft ja sowieso nicht. Für Kritik sind sie zu beschäftigt. Mit Erziehung. Und Arbeit. Es ist ein trauriger Witz, wie sie mit ihrem Realitätssinn, den man auch Sorge nennen kann, erst selbst zu Idioten werden und dann ihre Kinder zu welchen machen. Da hat sich die gesellschaftliche Disziplinartechnik „Angst“ perfekt in die Biologie eingeklinkt: Sobald Kinder da sind, dreht sich alles nur noch um Versorgung – die muss von Anfang bis Ende und möglichst sofort gesichert sein. Beste Babyausstattung, frühkindliche Ausbildung (Babyyoga, Geige, Sport, Fremdsprachen und alles, was das enorm plastische Hirn verarbeiten kann, weil später ist der Zug schon abgefahren), private Schulen, Uni, Beruf, Rente, Pflege, vorfinanzierte Beerdigung.

Kann es sein, dass eigene Kinder, so wie sie in unserer Gesellschaft gerade instrumentalisiert werden (nämlich als kleine Konsumgötter, die nur das Beste verdient haben), das einfachste Mittel sind, um Menschen zu Reaktionären zu machen? Es braucht jedenfalls großen Mut, für das eigene Kind nicht „das Beste“ zu wollen. Davor steht die Erkenntnis, dass das derzeit Beste nichts anderes ist, als eine Einübung in Konformität. Statt vor Schreck aufzuschreien, nicken die Eltern, die ich kenne, bei diesen Aussichten beruhigt ein. Hauptsache das Kind ist versorgt. Es sind ja unsichere Zeiten.

Derealisationen (2)

Ich stieß beim unkonzentrierten Lesen auf einen Absatz, in dem die Rede war von „ontologischer Angst“, und ich blieb an dieser Formulierung hängen, weil dieser philosophische Jargon etwas herausfiel aus dem Text, und ich fragte mich, warum sagt er nicht einfach: „Todesangst“. Ich las den Absatz nochmal und der beste Grund, den ich für diese Formulierung fand, war der, dass sie mich beim Lesen stolpern ließ und darauf aufmerksam machte, dass an dieser Stelle ein Gedanke entwickelt wurde, der nicht einfach überlesen werden sollte: Die „ontologische Angst“ nämlich sei für den Sohn mit dem Tod des Vaters verbunden, der, wenn er denn eingetreten ist, nicht mehr vor dem eigenen Ableben stehen würde, und der Sohn müsste nun quasi dem Tod direkt ins Auge blicken und dabei erkennen: Ich bin als nächster dran.

Vater tot, Sohn, Tod.

Alles verschwindet, nur die psychoanalytische Überhöhung der Vaterrolle nicht. Und die Tochter hat offenbar andere Probleme.

„Der Mensch ist ein System von Begierden, das durch ein System von Ängsten temperiert wird.“

Paul Valéry, Cahiers

Todesangst und Metaphysik

Vor einigen Wochen führte ich ein ungewöhnliches Telefongespräch mit meiner Mutter. Ungewöhnlich schon deswegen, weil es sonst fast rituell um unwesentliche Dinge des Alltags geht. Kaum verborgen äußerte meine Mutter mir gegenüber ihre Todesangst, vor allem im fortwährenden Bedauern über die fehlende Religiosität ihrer Kinder. Was nämlich zur Folge hätte, dass wir uns dann nach unserem Ableben nicht wiedersähen.

Da die Religiosität meiner Mutter von Ängsten gespeist wird, die das sonst verbreitete Maß wohl deutlich übersteigen und sich von daher ein periodisch eruptiv ausbrechender fundamentalistischer Glaube entwickelt hat, heißt das für sie: im Unterschied zu ihr (falls der Herr nicht noch eine ungesühnte Schuld bestrafen muss) kommen ihre Kinder nicht in den Himmel, sondern leider in die Hölle. Wobei nicht das unweigerliche Leiden der Nachkommen das Problem ist, sondern die ewige Fortsetzung des irdischen Daseins: Einsamkeit, Angst, Depression, Unerlöstheit.

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Die graue Mitte

Und schon wieder strömten die Flüchtlinge über die Bildschirme direkt in unsere Wohnzimmer. Goldene Zeit der TV-Jahresrückblicke. Und immer noch ist die Angst groß, wie es scheint. Der “Kontrollverlust der Politik” wird beklagt, sowas dürfe nicht passieren, da wird dem Bürger zuerst mulmig, dann schlägt Angst in Wut und schließlich in Hass um. Das sei zu beklagen, aber nicht zu ändern, weil es quasi ein natürlicher Vorgang sei: Wem die Natur kommt, der muss ihr folgen, Druck ablassen, sonst geht’s in die Hose. Die verantwortlichen Politiker müssten schon verhindern, dass sich ihre Wähler einnässen. Sonst laufen sie ihnen weg. Und zwar aus Mitte an den Rand, wo sie alles rauslassen dürfen. So sieht das allgemeine Fazit aus: Die Politik müsse der Panik vorgreifen, indem sie so handelt, als wären die Befürchtungen der Bürger tatsächlich berechtigt. Das ist zwar absurd und um es mal in Anlehnung an das Wort des Jahres 2016 zu sagen, das wäre dann “präfaktische” Politik, die auf Ängste reagiert, die die Wähler bald haben könnten. Tatsächlich ist das schon lange gängige Praxis. Allerdings nicht, wie man denken könnte, um irrationalen Ängsten frühzeitig zu begegnen, sondern um sie zu schüren und zu instrumentalisieren für eigene Zwecke.
Angstmache ist ein Mittel der Politik seit es sie gibt und sie wurde auch in den gegenwärtigen politischen Diskurs nicht erst von den Rechtspopulisten eingeführt. Die Durchsetzung der angeblich “alternativlosen” neoliberalen Agenda, der Krieg gegen den Terror und auch die Bankenrettung nach dem Finanzcrash 2008 wären ohne sie nicht möglich gewesen. Dass die Demokratie dadurch von ihren eigenen Repräsentanten delegitimiert und geschwächt wurde, fällt ihnen jetzt auf die Füße. Der Aufstieg der Populisten wird genährt von der Unglaubwürdigkeit der Demokraten.

Das macht es so lächerlich, den Vertretern der etablierten Parteien jetzt dabei zuzuschauen, wie sie in den üblichen Talkshows ihre ehrliche Politik gegen die Lügen der Populisten verteidigen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen offensichtlichen Lügen und Zuspitzungen und Vereinfachungen, nur ist er vielleicht so fein, dass er von Nicht-Politikern kaum erkannt werden kann. Letztlich bleibt von all den Verdrehungen nur hängen, dass jeder Politiker sie benutzt, um seine Interessen zu verfolgen. Dass sich das bessere Argument durchsetzt, sei einer der großen Vorzüge der Demokratie, das wird jetzt oft von den blinden Parteisoldaten betont, denen Argumente bisher nur etwas galten, wenn es die eigenen waren. Dass gerade dieses Personal, das die Demokratie mit ihrer Ignoranz und Geltungssucht so nachhaltig beschädigt hat, nun zu ihrer Verteidigung herhalten muss, kann einem wirklich Angst machen.

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