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Verschwende deine Tugend

Sport
Als ich einmal ganz entzückt war über eine Kleinigkeit, sagte jemand mir, das sei jetzt aber ziemlich übertrieben gewesen. Und ich schämte mich für einen kurzen stillen Moment. Dann fiel mir mein Basketball-Trainer ein, den die Schiedsrichter während der Spiele immer wieder ermahnen mussten, bitte nicht so euphorisch zu sein. Er reagierte empört auf die Ermahnungen und sagte dazu: “Ich lass mir doch die Freude am Spiel nicht verbieten”. Dann setzte er sich und gab Ruhe bis zum nächsten Punkt oder halbwegs gelungenen Pass, der ihn vor Begeisterung vom Stuhl riss. Niemals wurde unser Trainer laut, weil er etwas zu bemängeln hatte, er liebte das Spiel und er fand jeden seiner Spieler ganz großartig, obwohl wir meistens verloren haben. Als wir zum Auftakt eines Spiels einen perfekten Spielzug vortrugen und ihn mit Punkten krönten, rief er uns klatschend von der Seitenlinie zu: “Saubere Ausführung! Nächstes Mal bitte auf den gegnerischen Korb”. Das war keine Ironie, er sah das Gute immer im Detail. Trotzdem schämten wir uns ein bisschen. Dieses Spiel gegen den Tabellenführer hätten wir übrigens fast gewonnen, da unsere Gegner, allesamt brillante Techniker, mit unserer verwirrenden Spielweise nicht klarkamen.
Mir ging das alles durch den Kopf und was für einen Spaß wir dabei gehabt hatten, vor jetzt fast 25 Jahren. Dann sah ich mir unauffällig den Mann an, der neben mir saß und der mich gerade eben getadelt hatte, und fragte mich, ob er so etwas auch mal erlebt hatte. Er starrte weiter geradeaus, obwohl er meinen Seitenblick auf sich spürte und etwas nervös wurde. Könnte gut sein, dachte ich, wahrscheinlich hat er es nur vergessen.

Pornoise
Meine Nachbarin vom Treppenaufgang nebenan hat ein unverwechselbares Lachen. Zwar habe ich sie noch nie gesehen, und wahrscheinlich würde ich sie auch nicht erkennen, aber da ich mir inzwischen ein eigenes Bild von ihr gemacht habe, weiß ich sowieso, dass sie ein Zille-Original sein muss: Plump, rotwangig, versoffen, lüstern bis in die Haarspitzen, also dermaßen primitiv, dass man vor Scham den Blick abwenden möchte, es aber nicht kann. Sie ist laut, oft hat sie Gäste, dann wird viel getrunken und das Gelächter nimmt kein Ende. Sie lacht ununterbrochen, wiehernd, kreischend, manchmal empört, als müsste sie den Saufkumpanen auf die fummeligen Finger hauen. Später, nachts, die meisten Gäste sind gegangen, und ich hab wohl schon geschlafen, braut sich drüben ein Gewitter zusammen; erste Böen, die mich im Halbschlaf umwehen, ist da was? – dann wird es stürmischer, bis hin zu einem Gejaule, das nur kurz dauert, mich aber noch lange wach hält. Jedenfalls ist es nicht zu überhören, also bin ich dabei, unfreiwillig zwar, fasziniert und abgestoßen, praktisch unbeteiligt, theoretisch aber beschäftigt mit Grübeleien, die vom aufwühlenden Sound mit wechselnden Stimmungen unterlegt werden. Den Morgen danach beginne ich mit einem leichten Kater und schwermütigen Gedanken, insgesamt befinde ich mich in einer zersetzenden Gefühlslage: Bestimmt werde ich als Parasit wiedergeboren.

RB85 meldet sich nicht mehr

Gibt es eigentlich irgendwo noch Hoffnung? Zwischen Lübeck und Neustadt (Schleswig Holstein) jedenfalls nicht. Der Bahnsteig war leer. Als ich zustieg, saßen in der Regionalbahn (RB85) zwei ältere Männer, jeder allein in seinem eigenen Wagen, und für mich stand exklusiv der dritte Waggon bereit, also ging ich bis nach ganz hinten durch und setzte mich. Schön, die Beinfreiheit. Ich sah aus dem Fenster in den Nieselregen und dachte, vielleicht liegt es ja an mir: Wer fährt schon mitten in der Woche bei schlechtem Wetter an die Ostsee. Dann ließ ich das Grübeln sein und blickte wirklich nach draußen, in die Landschaft, und wusste: Meine Schuld ist es nicht. Landwirtschaft soweit das Auge reichte. Flach, grün, monoton. Wer ein gutes Versteck benötigt, sollte hierher kommen und sich einfach in die Landschaft stellen. Da draußen verschwimmt alles zu einem unterschiedslosen Nichts, grün in grün in grün. Verschluckt von einer unsäglichen Langeweile. Ein Baum huschte vorbei, zu schnell, um seine Art bestimmen zu können – eine Birke war es nicht, auch keine Kiefer, ein Baum eben, in dieser Gegend aber DER Baum, der letzte Überlebende. Weiterlesen

Das Ende einer Freundschaft

Im Frühsommer 2015, als sich das in der Öffentlichkeit vorherrschende Thema von Griechenland auf die Flüchtlinge verschob, begann der Zersetzungsprozess einer mehrjährigen, teilweise engen Freundschaft. Auf dem Weg zum Biergarten hatte es schon die erste Meinungsverschiedenheit über die Aktion des Zentrums für politische Schönheit gegeben, das mit zwei Beerdigungen von Flüchtlingen und mit der symbolischen Errichtung von Grabstätten in der Stadt das Ertrinken von Menschen im Mittelmeer ins öffentliche Bewusstsein heben wollte. Die Toten kommen (http://www.politicalbeauty.de/toten.html) – für meinen Begleiter, der sich gar nicht über den Inhalt der Aktion informiert hatte, die er vehement ablehnte, gab es vor allem diese Kritikpunkte: das alles sei pietätlos und die Leute vom ZfpS seien nur darauf aus, sich selbst in den Vordergrund zu schieben, außerdem hätte das nichts mit Kunst zu tun. Auf meine Erläuterungen hinsichtlich des symbolischen Gehalts der bewusst provokativen Inszenierung der Aktion gab es dann positive Resonanz. So hätte er das noch nicht gesehen. Weiterlesen

Houellebecqs Lächeln

Houellebecq zu lesen, ist vielen seiner Leser widerlich. Was daran liegen mag, dass er ein ziemlich verachtenswertes Individuum ist, wie er selber sagt. Offenbar ist es in seinem Fall unmöglich, das Autorenego vom Text zu lösen, es spricht Houellebecq, der Nihilist, der Provokateur und gelassene Apokalyptiker durch alle seine Erzähler, in etwa so wie ein Filmstar nicht mehr in seiner Rolle aufgeht, selbst wenn er sie gut spielt, sondern die Rolle zum biographischen Teilchen der vermeintlichen Person wird, die der Öffentlichkeit bekannt ist. Stars, Schauspieler im Allgemeinen, leben von ihrer Beliebtheit, da endet der Vergleich mit Houellebecq. Die Beliebtheit der Stars scheint umso größer zu sein, je mehr sie es schaffen, eine ins Absurde gesteigerte Normalität zu verkörpern, also zur denkbar schönsten und größten Imaginationsfläche für das gesellschaftlich Wünschenswerte zu werden. Houellebecq steht für das Gegenteil: Er gibt sich als der zukünftige Mensch aus, den seine Texte prophezeien, als eine Art Zombie seines finanziellen und gesellschaftlichen Erfolgs. Immer wieder führt er an sich und seinen Figuren vor, dass Erfolg in dieser Gesellschaft ein Symptom dafür ist, wie weit sich eine Person an die Verhältnisse angepasst hat, um über Geld, Sex, Macht usw. zu verfügen, oder auch welches Maß an Zynismus nötig ist, um die gleichen Ziele auf anderen, brutaleren Wegen zu erreichen. Das Schöne und Bewundernswerte, das dabei in seiner Literatur entsteht, ist die radikale Ehrlichkeit, mit der Erfolg in einer korrupten Gesellschaft als Perversion dargestellt wird. Das macht ihn und seine Literatur so widerlich, für diejenigen, die einverstanden sind mit den Grundregeln nach denen gesellschaftlicher Erfolg verteilt und bemessen wird. Die Erfolgreichen wirken hässlich und abstoßend, obwohl sie von ihm genauso gezeigt werden, wie sie sich selber sehen wollen. Das ist natürlich gemein. Weiterlesen

Post Mortem Politics: Willkommen in der Postdemokratie (2)

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Februar 2017

Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich hat Marine Le Pen realistische Chancen. Der Kandidat der Linken Hamon scheint schon aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Partei Hollandes diskreditiert. Der konservative und neoliberale Kandidat Fillon schmiert in den Umfragen ab, nicht zuletzt aufgrund der Scheinbeschäftigung seiner Ehefrau. Als Shootingstar ausgerufenen wird Emmanuel Macron, der sich liberal-demokratisch positioniert. Ob die Jugendlichkeit des ehemaligen Wirtschaftsministers ausreicht, um die bestehende Verachtung der Eliten nicht zugunsten von Le Pen ausschlagen zu lassen, bleibt abzuwarten. Le Pen und ihre aus der antieuropäischen Linken stammende rechte Hand Florian Philippot gerieren sich jedenfalls als die wahren Verteidiger des Sozialstaates.

Empörung: Donald Trump macht die Grenzen dicht. Die europäischen Regierungschefs haben allerdings für den alten Kontinent nichts anderes beschlossen. Auf dem EU-Gipfel Anfang Februar wurde die „zentrale Mittelmeer-Route“ für Afrikaner von Libyen nach Italien geschlossen. Legale Fluchtwege aus Afrika nach Europa oder die Umverteilung von Asylbewerbern innerhalb der 28 Staaten standen nicht auf der Tagesordnung. Libyen ist nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi in Chaos versunken. Die libysche Küstenwache soll nun ausgebildet und verstärkt werden, um Bootsflüchtlinge zurück nach Libyen zu schicken. Eine funktionierende Verwaltung gibt es dort nicht. Europa sichert aber zu, dass in den zu errichtenden Auffanglagern die „volle Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechts“ gewährleistet werden kann.      https://www.taz.de/!5377511/

Tausende Flüchtlinge sitzen bei eisigen Temperaturen unter menschenunwürdigen Verhältnissen im Südosten von Europa fest. Weder die Regierung in Serbien noch die in Griechenland kümmert sich um ausreichende Versorgung der Flüchtlinge mit Nahrung, um den Schutz vor Kälte oder die unerträglichen sanitären Verhältnisse. Abschreckung ist das erste Gebot der christlichen europäischen Wertegemeinschaft.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-neue-dschungel

https://www.tagesschau.de/ausland/kaelte-griechenland-fluechtlinge-103.html

Der ADAC veröffentlichte am 17.1. eine Studie zur Pkw-Maut, die Verkehrsminister Dobrindt (CSU) gegen den anfänglichen Widerstand der EU-Kommission einführen will. Für das Startjahr 2019 errechnete der Autolobbyverein eine “Unterdeckung” von 147 Millionen Euro. Dobrindt behauptet weiter einen Gewinn – den er vor allem wohl auf ideologischem Terrain erzielen will: zahlen sollen nur ausländische Nutzer der deutschen Autobahnen. So wird dem Populismus Paroli geboten. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält die erst von der CSU so genannte “Ausländermaut” trotz Zustimmung aus Brüssel für nicht kompatibel mit EU-Recht. Generalsekretär Andi Scheuer meint: “Bei so viel fachlicher Ignoranz muss man die Frage nach dem Sinn des Wissenschaftlichen Dienstes stellen.” Klarer Fall: vernünftig ist, was der Partei nutzt.

http://www.berliner-zeitung.de/politik/zweifel-an-einnahmen-fachen-streit-ueber-pkw-maut-wieder-an-25711558

Die Arbeit der Anderen

Es war David Foster Wallace, der im Jahr 2005 eine seltsame Rede hielt vor den Absolventen des Kenyon College. Er beginnt seine Rede mit einer kurzen Parabel, die etwa so geht: Treffen zwei junge Fische einen alten. Der Alte grüßt freundlich: “Morgen, Jungs! Wie ist das Wasser so?” Die beiden jungen Fische schwimmen weiter und nach einer Weile schaut der eine den anderen fragend an und sagt: “Was zur Hölle ist denn Wasser?” Weiterlesen

Post Mortem Politics: Wie Demokraten die Demokratie abschaffen (1)

Die Michmaschine registriert in dieser Rubrik die sich häufenden Anzeichen für die Selbstabschaffung der Demokratie.


Januar 2017

Ein Lob der Kölner Polizei für ihr großartiges Agieren an Silvester 2016! “Alles richtig gemacht!”. Nur Simone Peter fragte nach. Und erntete einen für sie bislang unbekannten Sturm an Hassmails und Morddrohungen. Rund 1.000 junge Männer (im Polizeijargon “Nafris”) vornehmlich aus dem nordafrikanischen Raum seien am Dom festgesetzt worden. Sogenanntes „racial profiling“ habe es aber nicht gegeben – also ein Vorgehen, bei dem Menschen nur aufgrund ihres Aussehens kontrolliert werden. Weiterlesen

Gefährder

Der Innenausschuss des Landtages von NRW tagt zum Fall Amri: Statt Aufklärung oder irgendwie greifbarer Ergebnisse inszenieren die Beteiligten ein Schmierentheater, irgendetwas zwischen juristischem Proseminar, Wahlkampf und Kabarett. So erlebt es der DLF-Berichterstatter Jürgen Zurheide. (Deutschland heute, 19.1., 14.23 Uhr)

Anne Will lacht herzlich in Richtung Edmund Stoiber, der sich riesig darüber freut, mit Olaf Scholz einer Meinung zu sein. Und wirklich: beide unterscheidet vor allem das Temperament, sonst sind beide im totalen Anti-Terror-Modus. Weiterlesen

Big Data vs. Null Ahnung

Es treten an: Blödmann gegen Algorithmiker. Sieht schlecht aus für den Blödmann, er ergreift seine einzige Chance und flieht, kreuz und quer durchs Internet, aber Algo ist immer schon da, wenn Blödi ankommt: “Diese Angebote könnten sie interessieren” – personalisierte Werbung. Kommt man da jemals wieder raus oder ist das aussichtslos? Zalando vermisst mich auch, letzte Woche wollten sie, dass ich den Tag mit einem Lächeln beginne. Das hab ich dann gemacht und freudlos mein Laptop angegrinst, es hat nicht geholfen; heute schreiben sie: “Fritz wo bist Du? Wir vermissen Dich!” Vor 5 Jahren hatte ich eine Jacke bestellt, sie sah auf den Bildern besser aus, gut sogar, getragen habe ich sie bisher noch nicht. Das hässliche Ding. Seitdem behandelt mich Zalando sehr herzlich, wie einen guten Freund, dabei war ich nur ein einziges Mal nett zu ihnen. Das hat gereicht für eine lebenslange Partnerschaft. Diese Beziehung ist absolut einseitig, sie klammern, diese Stalker.

Warum ich damals gedacht habe, dass ich da mal was bestellen könnte, weiß ich nicht mehr so genau. Eine schicksalhafte Entscheidung, ich glaube, ich hatte einen 20-Euro-Gutschein in die Hand gedrückt bekommen. Und zwar in meiner liebsten Kneipe, wo man gut in der Sonne sitzen konnte, in einer kleinen Sackgasse, absolute Ruhe mitten in Berlin. Dann hat Zalando seine Zentrale direkt gegenüber in einem alten Industriegebäude eingerichtet. Ab 15 Uhr strömten jetzt täglich junge Angestellte des wohl irgendwie hippen Online-Händlers in die Bar, um ihre müßigen Arbeitsgespräche in Form einer ewigen After-Work-Party fortzusetzen. Das waren aufgeschlossene Leute, clubaffine Neuberliner, äußerst nervig, aufgrund ihrer vibrierend positiven Energien, aber jedenfalls immer bereit einen Gutschein zu zücken und abgeschlafften Gestalten am Tresen ein Lächeln zu schenken. Ich war dann nicht mehr oft da und musste diesen wunderbaren Ort ganz aufgeben.

Auch in der Facebook-Timeline und in meinem absolut werbeverseuchten Mail-Account meldet sich Zalando regelmäßig mit freundlichen Botschaften. Die kümmern sich so intensiv um mich, es ist beschämend, keiner meiner anderen Freunde, – ich meine die, die ich nicht beim Einkaufen kennengelernt habe – hat mir auch nur annähernd so oft geschrieben, und ich lass einfach nichts von mir hören. Vor allem weil ich bisher zu faul war, mein Konto wieder zu löschen. Würde das helfen? Ich glaube, eher nicht. Die einzige Möglichkeit wieder vom Radar zu verschwinden, besteht wahrscheinlich darin, den digitalen Tod zu sterben. Löschung aller Konten und Profile, SIM-Karte raus, Internet abmelden, das hat mich doch sowie alles nur am Rande interessiert, jetzt steck ich bis zum Hals drin. Das funktioniert doch auch nicht, oder? Was sagt der Algorithmiker dazu? Überall im Netz blieben versprengte Teile von mir hängen, Zeichen meiner realen Existenz, vollkommen ausreichend, um mir die Werbung wieder per Post zu schicken.

Die graue Mitte

Und schon wieder strömten die Flüchtlinge über die Bildschirme direkt in unsere Wohnzimmer. Goldene Zeit der TV-Jahresrückblicke. Und immer noch ist die Angst groß, wie es scheint. Der “Kontrollverlust der Politik” wird beklagt, sowas dürfe nicht passieren, da wird dem Bürger zuerst mulmig, dann schlägt Angst in Wut und schließlich in Hass um. Das sei zu beklagen, aber nicht zu ändern, weil es quasi ein natürlicher Vorgang sei: Wem die Natur kommt, der muss ihr folgen, Druck ablassen, sonst geht’s in die Hose. Die verantwortlichen Politiker müssten schon verhindern, dass sich ihre Wähler einnässen. Sonst laufen sie ihnen weg. Und zwar aus Mitte an den Rand, wo sie alles rauslassen dürfen. So sieht das allgemeine Fazit aus: Die Politik müsse der Panik vorgreifen, indem sie so handelt, als wären die Befürchtungen der Bürger tatsächlich berechtigt. Das ist zwar absurd und um es mal in Anlehnung an das Wort des Jahres 2016 zu sagen, das wäre dann “präfaktische” Politik, die auf Ängste reagiert, die die Wähler bald haben könnten. Tatsächlich ist das schon lange gängige Praxis. Allerdings nicht, wie man denken könnte, um irrationalen Ängsten frühzeitig zu begegnen, sondern um sie zu schüren und zu instrumentalisieren für eigene Zwecke.
Angstmache ist ein Mittel der Politik seit es sie gibt und sie wurde auch in den gegenwärtigen politischen Diskurs nicht erst von den Rechtspopulisten eingeführt. Die Durchsetzung der angeblich “alternativlosen” neoliberalen Agenda, der Krieg gegen den Terror und auch die Bankenrettung nach dem Finanzcrash 2008 wären ohne sie nicht möglich gewesen. Dass die Demokratie dadurch von ihren eigenen Repräsentanten delegitimiert und geschwächt wurde, fällt ihnen jetzt auf die Füße. Der Aufstieg der Populisten wird genährt von der Unglaubwürdigkeit der Demokraten.

Das macht es so lächerlich, den Vertretern der etablierten Parteien jetzt dabei zuzuschauen, wie sie in den üblichen Talkshows ihre ehrliche Politik gegen die Lügen der Populisten verteidigen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen offensichtlichen Lügen und Zuspitzungen und Vereinfachungen, nur ist er vielleicht so fein, dass er von Nicht-Politikern kaum erkannt werden kann. Letztlich bleibt von all den Verdrehungen nur hängen, dass jeder Politiker sie benutzt, um seine Interessen zu verfolgen. Dass sich das bessere Argument durchsetzt, sei einer der großen Vorzüge der Demokratie, das wird jetzt oft von den blinden Parteisoldaten betont, denen Argumente bisher nur etwas galten, wenn es die eigenen waren. Dass gerade dieses Personal, das die Demokratie mit ihrer Ignoranz und Geltungssucht so nachhaltig beschädigt hat, nun zu ihrer Verteidigung herhalten muss, kann einem wirklich Angst machen.

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