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Lost in Media

Maulhelden

Vielleicht hab ich mich zu sehr daran gewöhnt, dass es Realitäten gibt, die nicht in mein Weltbild passen. Rechtsradikale, eigentlich ja unvorstellbar, ISIS, AfD, Investmentbanker, Drohnen, kämpfende Truppen und so weiter, kenne ich zwar alle persönlich nicht, gibt es aber angeblich trotzdem. Jedenfalls hör ich viel davon. Sogar soviel, dass ich mich frage, weshalb die in meiner Wirklichkeit überhaupt nicht vorkommen. Auf der Straße sehe ich alte Leute, die gibt es hier, da ich nicht mehr im Stadtzentrum wohne, Schulkinder auf dem Nachhauseweg und Hunde, die ausgeführt werden, auch ein Hausschwein ist dabei; auffällig sind die vielen gerade zugezogenen Studienanfänger und vielleicht auch ein paar Flüchtlinge, aber da bin ich mir nicht sicher und natürlich gibt es auch noch Weddinger Türken, die werden allerdings immer seltener. Der Freundeskreis deutscher Trinker vor dem Kiosk “Tante Emma”, der von einer indischen Familie geführt wird, hält sich seit Jahren einigermaßen stabil, ich nehme an, die Fluktuation ist groß, aber es gibt wohl ausreichend Nachwuchs. Herr Möller (56) fehlt in der Runde jetzt, der ist vor ein paar Wochen gestorben, wir waren Kellernachbarn. Manchmal liefen wir uns im Treppenhaus über den Weg, und gleich nachdem ich eingezogen war, nutzte ich so eine Gelegenheit, um ihn zu fragen, ob er die Stühle, die ich in seinem Keller gesehen hatte, verkaufen wolle. Es handelte sich um Thonet-Stühle, das wusste ich nicht, und der Preis war mir deshalb zu hoch, so kam das Geschäft nicht zustande. Jetzt, fünf Jahre später, und nach dem Tod ihres Besitzers, stehen sie bei mir im Wohnzimmer. Seltsame Geschichte, der Hausmeister hat sie vor dem Müll bewahrt.

Der Hausmeister ist nett, er hat medientheoretische Kenntnisse und hört Musik, die mir gefällt, viel reden wir nicht, aber mehr als üblich und ich könnte mir gut längere Gespräche mit ihm vorstellen, auch wenn es mir manchmal schwer fällt, seinen etwas sprunghaften Gedanken zu folgen. Vielleicht setzt er bei mir ein wenig zu viel Wissen voraus.

Einmal am Tag gehe ich um die Ecke ins Café, trinke etwas, auch das Essen ist viel besser, als bei mir zu Hause, gar kein Vergleich eigentlich, da kann ich Stunden verbringen und Notizen machen, Gedanken sortieren, auch Schreiben geht, dabei lass ich mich umsorgen von der syrischen Familie, die das Café betreibt. Bis vor einigen Wochen ist immer noch ein weiterer Verwandter von ihnen eingetroffen, inzwischen haben fast alle Aleppo verlassen, sie leben jetzt verstreut in den arabischen Ländern, in Deutschland und Europa. Der Alltag funktioniert für sie wieder, trotz bürokratischer Hürden, die gerade zu Anfang eine Zumutung waren, die Katastrophe in ihrer Heimat geht allerdings weiter. Darüber wird kaum gesprochen, vielleicht weil die gebrochene Sprache es nicht zulässt. Wenn ich Krieg höre, erscheinen mir zuerst Bilder vom zerbombten Berlin, neben anderen – wie denen der Wehrmachtsoldaten, die in leicht gebückter Haltung über offenes Feld vorrücken, den heulenden Stalinorgeln, Stukas, das ganze oft gesendete schwarzweiße Archivmaterial eben, zu dem auch deutsche Panzer in zerstörten Städten gehören -, nichts davon habe ich jemals mit eigenen Augen gesehen.

Glück gehabt. Es gehört nicht zu meiner Realität, nicht zur heutigen deutschen Realität. Trotzdem haben wir jeden Tag damit zu tun: Die so genannte Flüchtlingskrise, ich glaube, die meisten Deutschen verstehen das so, als wären sie selbst damit gemeint, natürlich nicht, weil sie flüchten mussten, sondern weil die Flüchtlinge jetzt hier sind und wir damit klarkommen müssen. Die Flüchtlingskrise verstanden als ein deutsches Problem. So kann man das sehen, wenn man Deutscher ist. Davon leben derzeit Rechtsradikale, AfD und andere niederträchtige Gestalten sehr gut. Und ihre virtuellen Widersacher auch. Im Gegensatz zu realen Rechtsradikalen begegne ich aufrechten Kämpfern gegen den Faschismus jeden Tag, nämlich immer dann, wenn ich mich bei Facebook umschaue. Dort wird ja ganz zurecht darauf geachtet, dass rassistischer, antisemitischer, irgendwie rechter oder rechts anmutender Sprachgebrauch nicht einfach so durchgeht. Jedenfalls ist das so in den Kreisen, zu denen ich Zugang hab.

Die politischen Diskussionen durchlaufen dort oft mehrere Eskalationsstufen, die in den sozialen Medien offenbar typisch sind – zu Anfang ist man fast einer Meinung, dann taucht ein Begriff auf, der in der Diskurswelt des einen irgendwie belastet ist, während der andere ihn treffend findet und daran festhält, dann gibt es Wort um Wort, bis es persönlich wird und mit Beleidigungen und Anfeindungen endet, denn in dieser seltsamen virtuellen Sphäre des Geredes behält bis zum Schluss immer jeder recht. Meist gesellen sich auf beiden Seiten Mitdiskutanten dazu, manche wollen vermitteln, einige springen einem der Streitenden zur Seite und machen es auch nicht besser, die meisten aber erheben sich über das Gemetzel, indem sie alle Beteiligten zu Trotteln erklären. Den Willen zur Einigung und Friedfertigkeit gibt es nicht; alles ist geprägt von einer stark abwertenden Haltung und einem Rigorismus, der Unschärfen im Sprachgebrauch nicht verhandeln und klären will, im Gegenteil: Jedes hingeschriebene Wort kann gleich zur Falle werden, es wird aufgespießt und gegen den Schreiber gewendet und wenn es dadurch zu einer scharfen Waffe geworden ist, darf dieser es auch nicht mehr zurücknehmen. Wäre es nur gesagt, also zwar laut ausgesprochen worden, weil die Kontrahenten zum Beispiel an einem realen Tisch sitzen würden und miteinander sprechen könnten, stände es natürlich auch im Raum und könnte aufgegriffen werden, aber es würde viel leichter sein, mit ein paar Anmerkungen den Schwung aus der Wortklauberei zu nehmen. Aber so ist es nicht in den Diskurskellern der sozialen Medien, da steht das schnell Hingeworfene neben (meistens unter) lang durchdachten Texten. Vermutlich ist das nicht der Grund für die Widerlichkeit, die sich dort so häufig in die Gespräche einschleicht. Es wurde ja schon oft gesagt, dass die relative Anonymität des Netzes den Enthemmten dieser Welt in die Hände spielt, aber auch das reicht als Erklärung nicht aus. Es ist wohl schon so, dass es uns allen schwerer fällt, Geschriebenes zurückzunehmen, als etwas Dahingesagtes wortreich zu relativieren. Zumal, wenn wir uns unter den Augen vieler Beobachter wähnen. Aber auch das wäre möglich, wenn eine Streitkultur etabliert wäre, in der es nicht hauptsächlich ums Gewinnen und Verlieren ginge. Der Gedanke ist ja wirklich nicht neu, aber der irgendwie an allen “Fronten” hochgerüstete, militarisierte Zeitgeist scheint ihn vollkommen verdrängt zu haben.

Dieser merkwürdige “Krieg der Worte” gehört offenbar nicht nur zur Realität der sozialen Medien, vielmehr könnte er ein Ausdruck unserer sozialen Realität sein, also ein Zeichen dafür, wie Gesellschaft derzeit empfunden wird, nämlich als ein Kampfplatz der Individuen. Überraschend finde ich das nicht. Nur dass auf diesem Wege Nazis und Islamisten, AfD, Soldaten im Krieg, Geldmacher und kapitalistische Radikale meine Realität weit mehr bestimmen, als ich mir das wünschen würde. Vielleicht ist die Zeit wirklich vorbei, in der neben mir alles existieren durfte, auch wenn ich es aus der Ferne gehasst habe. Um jetzt nicht in den Rigorismus zu verfallen, mit dem die Betonköpfe von ihren Laptops aus die sozialen Medien auf Linie bringen wollen, ist es wahrscheinlich hilfreich, nicht die von mir schon lange akzeptierten Feinde zu bekämpfen – der Kleinkrieg gegen Rechte ist ja immer noch verlockend -, sondern der Verrohung der Diskurse etwas entgegenzuhalten, das ich als universale Freundlichkeit, als eine weiche Weise bezeichnen würde, auf Glatzen, Terroristen und Kapitalisten zu schauen; ihnen allen also Platz zu machen für ihr Zerstörungswerk, ohne mich weiter in dem geschützten Winkel zu verstecken, der meine Realität ist.

Wie das gehen soll, weiß ich auch nicht. Allerdings bin ich mir sicher, dass dafür ein Versprechen notwendig ist, das ich wahrscheinlich nicht halten kann, aber das ich mir selbst gebe zur Erinnerung daran, dass ich nicht Jesus bin, aber mehr wie er sein möchte: (Auch wenn ich dann vielleicht alles löschen müsste, was ich gerade geschrieben habe) Ich darf nie wieder ein Maulheld sein; recht zu behalten ist eine Schande, wenn der Gegner dafür geschlagen wurde.

1 Kommentar

  1. Menschlich und widerwärtig ist das: Recht haben wollen, nicht etwa weil man seine Meinung für die einzig angemessene Position hält, sondern als Selbstbestätigung, als eigene Selbstbestärkung und Selbstüberhöhung gegenüber einem zum Feind erklärten Anderen. Selbstinduzierte Synergieeffekte sollen hier erzielt werden. Und das klappt auch insofern, als soz. permanente Inzucht mit sich selbst stattfindet. Der oder das Nichtidentische wird eliminiert. Die Herrschaft des Selbst wird unumschränkt. Der Wall aus Ignoranz und Indolenz ist uneinnehmbar.
    Gerade in zunehmend unsicheren und unruhigen Zeiten ist das eine verbreitete Umgangsweise mit der „Welt“ und allem Außen. Zudem hat Houellebecq allem Anschein nach Recht: „…unsere Gesellschaften haben jetzt das Endstadium erreicht, in dem sie sich weigern, ihr Unbehagen anzuerkennen.“ Wo Unbehagen sein könnte, ist nur noch Obacht für Karriere, Familie, Besitzstand und vielleicht noch bildungsbürgerliche Erscheinung.
    Das macht es für empfindsamere Existenzen schwerer, einen soz. positiven Gleichmut an den Tag zu legen – wenn man die Jesus-Haltung mal so bezeichnen kann.
    Ich muss, wenn der moralische Furor mich packt, soz. die Differenz zwischen dem, was ich denke und dem, was ich sage, mitdenken. Der moralische Rigorismus, der theoretisch angebracht und wünschenswert wäre, aber nicht (auch nicht von mir) durchhaltbar ist, ist immer wieder in seiner Absolutheit wie Lebenstauglichkeit zu befragen. Angesichts der Aufmärsche auf nicht nur sprachlichen Kampfplätzen vielleicht ein lohnendes Unterfangen. Und angesichts herrschender gewissenloser Dummdreistigkeit leider oft kaum zu bewerkstelligen, geradezu ein Himmelfahrtskommando.

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