Kontaktanzeigen in Zeitschriften gibt es ja kaum noch. Bevor der ganze Bereich ins Internet gewandert ist, füllten die “M sucht W”-Spalten immer einige Seiten, während die Anzeigen suchender Frauen naturgemäß seltener waren und oft mit einer halben Seite auskamen. Aber es gab sie immerhin und ich hatte die Angewohnheit, Stadtmagazine zuerst hinten aufzuschlagen und die“W sucht M”-Rubrik durchzusehen. Das war schnell erledigt, die meisten Anzeigen glichen sich, es gab bestimmte Muster, nach denen solche Texte üblicherweise gestaltet wurden: Oft folgte auf die Selbstdarstellung als liebenswerter Sonnenschein eine Liste mit Vorzügen, die potentielle Bewerber mitbringen müssten. Sehr beliebt waren Humor, Charme und Intelligenz, auch die Interessen sollten sich möglichst decken, also irgendwas mit Rotweintrinken, schön Essengehen, Tanzen, Theater, aber auch Kino und Reisen zu tun haben. Gut wäre es, wenn der Mann die Natur lieben würde (Spazierengehen), aber natürlich dürfte er kein Bauer, also Dorfdepp sein, sondern grundsätzlich Stadtmensch mit Festanstellung, der sich sowohl in Jeans als auch im Anzug zuhause fühlt. Bart war früher eher “ohne” gewünscht, allerdings war ja auch immer klar, wenn er richtig gut aussehen würde, “der Typ”, wären alle anderen Merkmale auch wieder egal. Dann gab es noch die seltenen, deshalb aber auffälligeren “straight-forward”-Texte, die laut herausschrien, ich bin superattraktiv, die Männer stehen bei mir Schlange oder sind zu feige, jedenfalls ist nie der Richtige dabei, also lass dir was einfallen, Mann; melde dich, wenn du wirklich schön, selbstbewusst und über 1,90 bist. Muttersöhnchen und Klammeraffen zwecklos.

So oder so, mir erschien dieser Kontaktmarkt immer wie eine spezielle Hölle, geschaffen für Menschen, die besonders viel von sich selbst halten und das auch gern mitteilen, wenn es denn kein anderer tut. Das Unverständnis, warum nun eigentlich ausgerechnet sie keinen Partner finden, war immer auf Seite der Suchenden am größten und das wurde manchmal auch noch mit einem kleinen Zusatz deutlich gemacht: “Meine Freunde sagen, ich wäre etwas ganz Besonderes” und zum krönenden Abschluss – “Männer traut euch!”

Abgesehen davon, dass ich mich nie auf eine Anzeige gemeldet habe, obwohl ich ernsthaftes Interesse daran hatte, war meine Veranlagung dafür wohl zu voyeuristisch, also auch nicht stark genug, um alle Hemmungen zu überwinden, die sich vor mir aufbauten, wenn ich mir die Person hinter einem solchen Text vorstellte – vor allem hatte ich immer die Fantasie, da würde tatsächlich ein solcher Persönlichkeitsklon das Café betreten und man säße dann beim Ersttreffen mit einem Menschen zusammen, der genauso so ein Klischee wäre, wie die Anzeige versuchte glauben zu machen. Und ich wäre dagegen so ein fleckiger, lauer Typ, eine Enttäuschung auf den ersten Blick, mit dem man anstandshalber noch eine Stunde oder so rumbringen müsste.

Falls ich richtig informiert bin, ist das heute nicht mehr unbedingt nötig; eine Stunde ist eine lange Zeit, in der man mehrere Dates wegschaffen kann. Wie alles andere ist auch der Liebesmarkt härter geworden. Kann ja gar nicht anders sein. Auch die Anforderungen an die Selbstdarstellung werden zugenommen haben, sie müsste heute zugleich perfekter und authentischer wirken, um den gewünschten Erfolg zu erzielen. Was damit erreicht werden soll, ist sicher unverändert geblieben, nur die Art und Weise der Darstellung ist heute eine andere. Immer noch geht es darum, sich selbst als wunderbare, attraktive Person zu bewerben.

Umso erstaunter war ich, als mir neulich ein Stadtmagazin in die Hände fiel und ich der alten Gewohnheit folgend, von hinten hinein blätterte und bei den Kontaktanzeigen innehielt. Insgesamt nahmen sie nicht mehr als eine halbe Seite ein. Es gab nur zwei Inserate von Frauen, also las ich auch die Anzeigen der Männer. Die Texte kamen sehr altbacken rüber, kein Wunder, dachte ich, hier finden sich doch nur noch die “Abgehängten” ein, diejenigen, die nicht wissen, wie man ins Internet kommt. Dann aber kam das:

“Hässlicher, alter Sack, ohne eigene Interessen und Geld, sucht junge, schöne Frau, die ihn aushält.”

Also, alle Achtung! Sowas. Was ist das denn, dachte ich, wo kommt der denn her? Entweder liegt hier ein Missverständnis vor und der gute Mann hat das chronische Gerede über Authentizität wirklich ernst genommen. Von Big Brother bis zum Dschungelcamp, vor allem aber in den sozialen Medien kommt es ja hauptsächlich darauf an, sich genau so darzustellen, wie man ist. Dabei gilt es natürlich die Dümmlichkeit zu verbergen, die schon darin steckt, zu glauben, es sei ein Wert an sich, irgendwie authentisch zu sein. Schlimmster Vorwurf im Reality-TV: “Der ist ganz anders, sobald die Kamera an ist.”

Oder, zweite Möglichkeit, dieser hässliche, alte Sack ist gar keiner, er legt eine falsche Fährte aus. Dann hätte er auf einen Schlag Humor und Intelligenz bewiesen und wäre auf jeden Fall auch optisch eine positive Überraschung. Diese Anzeige erschien mir plötzlich in jeder Hinsicht wie eine Wundertüte. Und falls es nicht nur mir so ginge, sondern auch einigen jungen Frauen, hätte sie wahrscheinlich gute Chancen Interesse zu erregen und beantwortet zu werden. Was wirklich dahinter steckte, hätte ich doch zu gern gewusst, mir blieb aber nichts anderes übrig, als sie zu lesen und zu interpretieren und so fiel mir die irgendwie geschickte, auch etwas rhythmische Form der Wortfolge auf, was für einen schrägen und poetischen, vielleicht auch surrealen Geist sprach, der sich hier eines ästhetischen Schocks bediente, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auch das, meinte ich, sei nicht mehr ganz zeitgemäß und würde auf einen älteren Dichter schließen lassen. Auf mich wirkte es jedenfalls wie eine Einladung zur freien Assoziation und so driftete ich ab und musste an eine literarische Kurzerzählung denken, die Mario Vargas Llosa als perfekt bezeichnet hatte. Sie trägt den Titel “Der Dinosaurier” und stammt von dem guatemaltekischen Autor Augusto Monterroso. Sie geht wie folgt:

“Als er aufwachte, war der Dinosaurier noch da.”