„Der Schulz ist so hässlich“, sagt meine Freundin, um damit ihre unüberbrückbaren ästhetischen Hürden einer Wahl der SPD zu markieren. Gut leben in Deutschland, so heißt die nahezu allen Parteien gemeinsame Wahlkampfphrase. Probleme waren gestern. Ob ich mir noch einen Diesel kaufe, ist letztlich auch Privatsache. Und Kim Jong-uns Raketen kommen sowieso nicht bis Deutschland. Die Grünen bleiben sich treu und knüpfen mit Gestaltung und Inhalt ihrer Plakate an ihre Gründerzeit an: Wir haben die Welt von unseren Atomkraftwerken geerbt. Stell dir vor, es ist Waldsterben, aber keiner geht hin. (So die grünen Lieblingsparolen von Mely Kiyak).
Am Überraschendsten und Kreativsten jedoch ist der Mut machende Auftritt einer Partei, die man schon verloren gegeben hatte. Anstatt wie die anderen langweilig das Konterfei des Spitzenkandidaten ins Zentrum zu stellen, haben die Freien ein Model mit adrett gestutztem Bart in den Mittelpunkt gestellt. Und dazu in kongenialer Weise Slogans, die das Zeug haben, den Niedergang Deutschlands durch einen ausufernden Sozialstaat und ein geknebeltes Unternehmertum doch noch abzuwenden. Etwa: “Jetzt wieder zu haben: Wirtschaftspolitik”, “Vorankommen durch eigene Leistung” oder “Digital first – Bedenken second”. Soll witzig sein und ist sicher so unverhohlen wie rücksichtslos – ostentative Coolness gepaart mit surrealer Wahrnehmung. Wer sind die sog. Mangelleister in Deutschland und welche Erlösungsvorstellungen gibt die Digitalisierung her?
Der Staat verschenkt Milliardenbeträge durch die aktuelle Erbschaftssteuer – 99 % der Firmenerben zahlen nichts http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/erbschaftsteuer-schaeuble-konzept-verschont-99-prozent-a-1036549.html, die Erbschaftssteuer wurde abgeschafft (von rot-grün). Die Erben von 300 bis 400 Mrd. Euro jährlich haben sich dieses Vermögen eben nicht erarbeitet, sondern es wurde ihnen leistungslos übertragen. Für Nichterben gilt: 40 Prozent des Einkommens lassen sich statistisch mit der Herkunft erklären, beim Bildungsabschluss sind es sogar 50 Prozent. (Daniel Schnitzlein vom DIW)
Über 53 Prozent der unter 25-Jährigen in Deutschland sind in befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt (laut OECD), die Bezahlung ist deutlich niedriger als bei älteren Kollegen in Vollzeitbeschäftigung, so das städtisches Wohnen oder Familiengründung kaum möglich sind.
Von Precht bis zur Deutschen Bank werden die Risiken der Digitalisierung nicht abgestritten. Über 50 Prozent der Arbeitsplätze werden wegfallen. Die digitale Revolution wird keine neuen Märkte erschließen und keine neuen Rohstoffquellen. Es wird vor allem alles effizienter. Unter den gegebenen Bedingungen werden große Teile der Bevölkerung in Armut fallen – bei hoher Produktivität und entsprechender Generierung von Geld.
Die FDP will an der engen Koppelung von Arbeit und Einkommen nichts ändern. Kostprobe: „Wir Freien Demokraten fordern mehr Flexibilität bei der Regulierung von Arbeitszeitmodellen. Deshalb wollen wir das Arbeitszeitgesetz flexibilisieren, indem die bisherige Grenze der täglichen Höchstarbeitszeit von acht beziehungsweise zehn Stunden sowie in den nicht sicherheitsrelevanten Bereichen die elfstündige Ruhezeit aufgehoben wird. […] Auch die alten Regulierungen der Industriegesellschaft passen nicht mehr in die neue Wirklichkeit und müssen auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden.“
Schon recht. Wenn man davon ausgeht, dass Performance und Wahlprogramm auf das Klientel der Partei abgestimmt ist. In diesem Fall vor allem ältere Herren der Wirtschaftswunderjahre oder deren Erben, für die die evidenten Probleme der Gegenwart (bzw. der vergangenen 25 Jahre), wie Ökologie, Arbeitsmarkt, Privatisierung und Durchökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche oder soziale Ungleichheit nur lässliche Begleiterscheinungen von Wachstum und Wettbewerb sind. Die FDP pflegt gerne ein junges, hippes Image. In Wirklichkeit haben die Liberalen jedoch die ältesten Wähler – und die reichsten. Das Durchschnittsalter stieg von 48,6 Jahren im Jahr 2000 auf 54,3 Jahre in 2016.
Kommentar verfassen