Houellebecq zu lesen, ist vielen seiner Leser widerlich. Was daran liegen mag, dass er ein ziemlich verachtenswertes Individuum ist, wie er selber sagt. Offenbar ist es in seinem Fall unmöglich, das Autorenego vom Text zu lösen, es spricht Houellebecq, der Nihilist, der Provokateur und gelassene Apokalyptiker durch alle seine Erzähler, in etwa so wie ein Filmstar nicht mehr in seiner Rolle aufgeht, selbst wenn er sie gut spielt, sondern die Rolle zum biographischen Teilchen der vermeintlichen Person wird, die der Öffentlichkeit bekannt ist. Stars, Schauspieler im Allgemeinen, leben von ihrer Beliebtheit, da endet der Vergleich mit Houellebecq. Die Beliebtheit der Stars scheint umso größer zu sein, je mehr sie es schaffen, eine ins Absurde gesteigerte Normalität zu verkörpern, also zur denkbar schönsten und größten Imaginationsfläche für das gesellschaftlich Wünschenswerte zu werden. Houellebecq steht für das Gegenteil: Er gibt sich als der zukünftige Mensch aus, den seine Texte prophezeien, als eine Art Zombie seines finanziellen und gesellschaftlichen Erfolgs. Immer wieder führt er an sich und seinen Figuren vor, dass Erfolg in dieser Gesellschaft ein Symptom dafür ist, wie weit sich eine Person an die Verhältnisse angepasst hat, um über Geld, Sex, Macht usw. zu verfügen, oder auch welches Maß an Zynismus nötig ist, um die gleichen Ziele auf anderen, brutaleren Wegen zu erreichen. Das Schöne und Bewundernswerte, das dabei in seiner Literatur entsteht, ist die radikale Ehrlichkeit, mit der Erfolg in einer korrupten Gesellschaft als Perversion dargestellt wird. Das macht ihn und seine Literatur so widerlich, für diejenigen, die einverstanden sind mit den Grundregeln nach denen gesellschaftlicher Erfolg verteilt und bemessen wird. Die Erfolgreichen wirken hässlich und abstoßend, obwohl sie von ihm genauso gezeigt werden, wie sie sich selber sehen wollen. Das ist natürlich gemein.
Houellebecq sieht auf einigen neueren Fotos wie ein zahnlosen Monster aus, nicht im übertragenen Sinne, sondern ganz real, schlechtes Gebiss, eingefallene Wangen, dünne Zottelhaare und natürlich immer mit Zigarette. Gemessen an der Medienrealität, in der Prominente normalerweise für uns existieren, stellen solche Auftritte ästhetische Abweichungen dar, die schwer zu ertragen sind. Warum lässt er sich nicht das Gebiss sanieren? Geld ist doch reichlich da. Netterweise lächelt er manchmal, wenn er fotografiert wird. Ein höflicher Reflex vielleicht, vermutlich aber eher eine bewusste Gehässigkeit, da ihm natürlich klar ist, welche Anstrengungen und Kosten die Reichen in Kauf nehmen, um blitzweiße Zähne, dichtes Haar, makellose Gesichter und Körper für die Kameras bereitzuhalten. Kann er denn wirklich so verschlagen sein, dass er seinen körperlichen Verfall genussvoll präsentiert, nur um als Gegenbild einer äußerlich attraktiven aber moralisch verkorksten Oberschicht durch die Medien zu geistern? Ziemlich sicher kann es so sein. Nimmt man seine Literatur hinzu, ist das doppelt schwer zu ertragen. Eine Zumutung sich vorzustellen, dass die Arbeit als Bestsellerautor nicht glücklich und schön macht, sondern hässlich und depressiv. Zwar war das ja eigentlich schon immer so, nur wird es eben nicht gern gesehen, wenn selbst Erfolg und Reichtum nicht dazu verhelfen, das Beste aus dem Leben herauszuholen. Wie soll es dann erst in der gepflegten aber langweiligen Mittellage gelingen. Den aufstiegsorientierten Mitmenschen droht das Gespenst des Nihilismus, sobald das Glück der Oberschicht nicht mehr glaubhaft erscheint. Welchen Sinn hätte es dann noch, hart zu arbeiten und sich an die Regeln zu halten?
Wieso sieht einer aus wie ein Penner, so abgestürzt bis zum vermeintlichen Bodensatz, obwohl er es geschafft hat? Eine mögliche Antwort wäre: Eben genau deshalb. Weil er nicht ausreichend dumm ist, das Glücksversprechen ernst zu nehmen, und außerdem ehrlich genug, nicht trotzdem so zu tun, als wäre das richtige Leben eine logische Folge von Reichtum und Erfolg. Houellebecqs literarische Sprache legt diesen Schluss jedenfalls nahe. Sie ist wenig kunstvoll, fast nie schön, meistens analytisch klar und gut informiert, selten polemisch, komplex, aber nicht kompliziert. Es geht bei ihm nicht um einen eigenen Ton oder Stil, den er auch hat, seine Sprache erfüllt vielmehr ziemlich genau die Bedingungen, die es braucht, um die durch Medien geformte und verformte menschliche Existenz realistisch darzustellen. Er bedient sich einer Sprache, der es gelingt, zugleich anziehend und abstoßend zu sein. Sie verführt zum schnellen Lesen und tritt dabei nie selbst – als Sprache – in den Vordergrund, sie wirkt ähnlich wie Fernsehbilder bei abgeschaltetem Ton auf das ewig zerstreute Bewußtsein der Zuschauer/Leser ein: Sie ist ein beständig fließender Strom sich selbst verschluckender Informationen. Darin kann alles für einen Moment zur Attraktion werden, währenddessen die grundsätzliche Bedeutungslosigkeit aller geschilderten Ereignisse immer offensichtlicher wird. Pure Negativität, die auf die Nerven gehen kann. Besonders störend muss sie für diejenigen sein, die aus Naivität oder persönlicher Vorteilsnahme eine positive Entwicklungstendenz, also ein ewiges gesellschaftliches und ökonomisches Wachstum behaupten. Das können ein paar veraltete hegelianische Kommunisten sein, in der Masse handelt es sich aber um die liberalen Agenten der Marktgesellschaft. Dass damit nicht nur die große, aber überschaubare Zahl der neoliberalen Lobbyisten und Politiker gemeint ist, macht es schwer, klarer zu sehen, wo wir selber stehen. Es betrifft uns alle, die wir in dieser Gesellschaft leben und aufgewachsen sind; Teile unseres Bewusstseins, die gar nicht anders können als positiv zu denken, weil sogar die Kritik am Fortschritts- und Wachstumsdenken konstruktiv ist – sie soll uns ja weiterbringen. Gerade an dieser Stelle setzt Houellebecqs Sprache ein, die nicht kritisch oder reflexiv ist, sondern auf ihre besondere Art beschreibend, sodass wir als Leser/Zuschauer durch alle Informationen hindurch gar nicht verstehen müssen, was er uns sagen will, sondern einfach zu spüren bekommen, dass alles Leben Verfall ist. Das ist eben so, was soll’s. Und daneben gibt es auch die Schönheit des Anfangs; Zähne, die noch nicht ausgefallen sind. Das zu begreifen, kann manchmal glücklich machen.
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