Es gibt Lügen, die nie auffliegen. Weil sie zu geschickt konstruiert sind oder weil sie nebensächlich sind und schnell wieder vergessen werden; einige wollen aber auch nicht aufgedeckt werden, einfach deshalb, weil sie gern geglaubt werden. Fake News gehören zu dieser letzten Kategorie: Sie wollen geglaubt werden, obwohl sie meistens leicht als Lügen zu entlarven wären. Es reicht nicht, Fake News mit Fakten zu begegnen, um sie zu entkräften. Fakten richten gegen Glauben nichts aus. Um die Wirksamkeit von Fake News zu verstehen, könnte es helfen, sie nicht als plumpe Lügen zu betrachten, sondern als Aussagen, die ein Bedürfnis bedienen, das mit Fakten nicht gestillt werden kann.

Eine genauere Definition von Fake News müsste eine allgemeine Bestimmung ihres Zwecks enthalten, der nicht nur in gezielter Desinformation bestehen kann, weil dann immer noch die Frage offen bliebe, wozu die Desinformation dienen soll. Die meisten politischen Kommentatoren der “Qualitätsmedien” liefern allerdings diese flache Erklärung, als wäre sie bereits eine Antwort auf die Frage, wie Fake News wirken. Dass es sich dabei um keine Erklärung der Zwecke und Wirkungen handelt, sondern um einen Vorwand, die Grenze zwischen Fakt und Fake umzuwandeln in eine Aussage darüber, wer Freund und wer Feind ist, scheint oft nicht einmal denen klar zu sein, die in diesem Sinne argumentieren. Statt Wirkungsforschung zu betreiben, die auch die oft völlig verquere und politisch motivierte eigene Berichterstattung miteinbeziehen müsste, werden Schuldige gesucht und meistens auch gefunden: Die Russen, AfD, Verschwörungstheoretiker, Antisemiten usw. Hinter den bereitwilligen Multiplikatoren von Hassbotschaften, Fake News und wirren Verschwörungthesen werden fast immer größere Mächte am Werk gesehen. Dass es sich bei diesem Erklärungsmuster selbst um Verschwörungsdenken handelt – das heißt übrigens nicht, dass es nicht trotzdem zutreffen kann -, wird immer dann deutlich, wenn echte Beweise für das Wirken der Hintermänner ausbleiben, was fast immer der Fall ist. Der Mangel an Beweisen wird dann mit dem Hinweis plausibel gemacht, dass das Netz ein Dschungel sei, undurchschaubar, verworren und – darauf kommt es an: unzuverlässig. Die eigenen unbewiesenen Behauptungen erfüllen in dieser Argumentationslogik paradoxerweise die Rolle der Beglaubigung des eigenen Sprechens: Die sozialen Medien werden insgesamt als dermaßen unzurechnungsfähige Quelle dargestellt, dass selbst anerkannte Wahrheitsinstanzen wie die “Qualitätsmedien” ihre Aussagen über Fake News nicht beweisen können. Dass sie ebenfalls regelmäßig Fake News produzieren, spielt an diesem Punkt keine Rolle mehr, da diese Auffassung dem Selbstbild professioneller Journalisten widerspricht. In ihrer Selbstwahrnehmung kommt es zwar vor, dass Fehler gemacht werden, in der großen Mehrzahl halten sie ihre Hervorbringungen aber für gelungene journalistische Darstellungen zweifelsfreier Fakten.

Auf diesem Niveau der Selbstreflexion ist es kein Wunder, dass immer mehr Vertreter der zentralen Meinungsmachermedien davon reden, mit Faktenchecks die alte Wahrheitsordnung wiederherstellen zu wollen. Diese simple Idee ist nicht nur strikt realitätswidrig, schließlich befinden wir uns auf dem Feld massenmedialer Produktion, nicht im Bereich naturwissenschaftlicher Gesetze, sie zeigt darüber hinaus, wie wenig der Ursprung von Fake News verstanden wird. Der liegt nämlich nicht hauptsächlich in der Verantwortung geheimer und böswilliger Mächte, wie suggeriert wird, sondern im selbstverschuldeten Glaubwürdigkeitsverlust der etablierten Medien. Dieser Verlust wird zwar erkannt und teilweise auch zugegeben, allerdings wird er offensichtlich als Folge der massenhaften Nutzung sozialer Medien betrachtet, was einer Verwechslung von Ursache und Wirkung nahekommt. Dass der Verlust des Meinungsmonopols nicht damit einhergehen muss, auch an Glaubwürdigkeit zu verlieren, wird von den Verantwortlichen in Presse und Fernsehen scheinbar übersehen. Intern wird eine Durchhaltemoral gepflegt, die darauf hinausläuft, sich nicht irre machen zu lassen von Lügenpresse-Vorwürfen und genauso fakten- und wahrheitsorientiert weiterzuberichten wie eh und je.

Natürlich ist es gut zu verstehen, dass sich der einzelne Redakteur oder Autor in Diensten einer Zeitung oder eines Senders nicht vorwerfen lassen will, bewußt sein Publikum zu belügen. Das zurückzuweisen, ist ganz richtig, und ebenso wie der inzwischen fast selbstverständliche Hinweis darauf, dass politische Einflussnahme fast nie mittels direkter Ansprache durch Politiker erfolgt, sollte es öffentlich immer wieder gesagt werden, um plattem Verschwörungsdenken etwas entgegenzusetzen. Aber man sollte von Journalisten auch erwarten können, dass sie ihre Situierung innerhalb struktureller Zwänge des eigenen Arbeitsumfeldes reflektieren. Auch das müsste öffentlich geschehen, findet aber nicht statt. Oder falls doch, abseits des Mainstreams und hinter verschlossenen Türen. Gründe für dieses Versäumnis gibt es viele, neben übergroßer Eitelkeit und der intellektuellen Unfähigkeit, Strukturen verstehen zu können, gibt es selbstverständlich auch einen politischen Unwillen abweichende Positionen prominent zu vertreten. Das ergibt sich konsequenter Weise aus den hierarchischen Strukturen, die in Medienunternehmen nahezu idealtypisch ausgebildet sind und die persönlichen Aufstieg nur bei einem gewissen Maß politischen Wohlverhaltens erlauben. Individuelle Eigenart und persönliches Engagement werden in Medienbetrieben – ähnlich wie in Parteien – nur soweit gefördert und geschätzt bis sie die Grenzen des inneren Mainstreams, das heißt des intern akzeptierten Meinungsspektrums, zu überschreiten drohen. Das scheint zunächst nicht weiter problematisch zu sein, da die gesamte Medienlandschaft ganz unterschiedliche Wege zur Meinungsbildung zulässt. Nur ist es eben so, dass die Formate mit den größten Reichweiten sich immer ähnlicher werden und nur noch einen bestimmten mittleren Bereich der Meinungen repräsentieren (auch hier ist eine ähnliche Entwicklung wie bei den etablierten Parteien zu beobachten). Die Medienvielfalt, die als materieller Ausdruck des Rechts auf Meinungsfreiheit gelten kann, wird stets durch marktypische Monopolisierung gefährdet, weit problematischer ist aber, dass die reale Vielfalt an veröffentlichter Meinung keineswegs abbildet, wie grundsätzlich unterschiedlich die Ansichten zu ein und derselben politischen Frage sein können. Dafür sind die Mainstreammedien in der öffentlichen Wahrnehmung einfach zu dominant.

Insofern sind die massenhaften politischen Artikulationen in den sozialen Medien jenseits ihrer jeweiligen Inhalte, die nicht selten skurril, dumm und hassverzerrt daherkommen, immer auch Ausdruck eines starken Unbehagens, das die Konzentration von Macht innerhalb einer dichter werdenden Vernetzung von Medien, Politik und Wirtschaft betrifft. Als solche sind sie ernstzunehmen und nicht als hate speech und Fake News abzutun. Gegen dieses Unbehagen sind Faktenchecks genau das ungeeignetste Mittel, da sie auf Basis der Behauptung Lügen richtig stellen zu wollen, ein Machtgebaren fortschreiben, das gerade ursächlich dafür verantwortlich ist, dass Fake News bereitwillig geglaubt und weiter verbreitet werden. Tatsächlich können Lügen vor diesem Hintergrund ihren Charakter wechseln und wahrgenommen werden, als das, was sie nicht sind, nämlich als wahre Aussagen, und damit einer Renitenz Stimme verleihen, die sonst ungehört bliebe. Das zu verstehen, könnte auch Journalisten helfen, ihr ungläubiges Staunen zu überwinden, wenn die offensichtlichsten Lügner zu Helden verklärt werden, während sie selbst – und ihre vielleicht aufrichtigen Absichten – als Manifestationen der “Lügenpresse” diskreditiert werden.