Es war David Foster Wallace, der im Jahr 2005 eine seltsame Rede hielt vor den Absolventen des Kenyon College. Er beginnt seine Rede mit einer kurzen Parabel, die etwa so geht: Treffen zwei junge Fische einen alten. Der Alte grüßt freundlich: “Morgen, Jungs! Wie ist das Wasser so?” Die beiden jungen Fische schwimmen weiter und nach einer Weile schaut der eine den anderen fragend an und sagt: “Was zur Hölle ist denn Wasser?”

 Wie die Rede damals aufgenommen wurde, ist meines Wissens nach nicht überliefert, anschließend wurde der Text aber dermaßen populär, dass er zur Standardlektüre geisteswissenschaftlicher Absolventen avancierte. Wallace stand vor diesen jungen Leuten in seiner Funktion als einer, der es geschafft hatte, als erfolgreicher Schriftsteller, dem zu jener Zeit enorme Bedeutung für die amerikanische Literatur beigemessen wurde. Nur wollte er darauf nicht hinaus. Er war nicht der alte Fisch, der den jungen die Welt erklären muss. Ihm ging es mit dieser kleinen Anekdote um etwas anderes, etwas, das er die “Standardeinstellung des Bewusstseins” nannte. Er bezeichnete damit den alltäglichen Normalzustand des Bewusstseins, der eben nicht besonders bewusst ist, der vielmehr wie ein Fisch im Wasser dümpelt, abgestumpft gegen seine Umwelt, empathielos und vor allem vollkommen auf sich selbst bezogen, als sei alles, was geschieht, nur aus der eigenen Perspektive zu verstehen. Die Alternative, die Wallace dazu anbietet, bedarf einiger Anstrengung. Sie kann vielleicht als beständige Arbeit gegen die eigenen Gewissheiten bezeichnet werden. Sie besteht darin, sich immer wieder daran zu erinnern: Das hier ist Wasser!

Es ist tatsächlich die Qualität guter geisteswissenschaftlicher Ausbildung, dass sie die Studierenden befähigt, der Welt mit offenen Augen zu begegnen. Wer es ernst meint, nimmt diese Haltung mit in sein weiteres Leben, wenn der Käfig endlich aufgestoßen wird und die Arbeit beginnt. Und das macht diese Rede so seltsam, sie geht über das Gewohnte hinaus, da sie weder moralisch besänftigend noch irreführend ist und eigentlich keine Lust macht, auf das, was jetzt kommt und was bisher immer in der Zukunft lag, nämlich die Mühsal kein Idiot zu werden. Dass es eine Mühsal ist, zeigt die Wirklichkeit, das beständige Scheitern an den eigenen Ansprüchen, vor allem aber die Qual, sich einzufügen in eine Arbeitswelt, die es nur in ganz wenigen Fällen honoriert, wenn die Interessen der Mitarbeiter den Rahmen ihrer vorgegebenen Aufgaben übersteigen. Unter den Normalbedingungen heutiger Arbeit nicht abzustumpfen, ist fast unmöglich. Bis auf eine kleine Gruppe, traditionellerweise waren das die Künstler, setzt sich niemand mit den Bedingungen der eigenen Arbeit kritisch auseinander; im Gegenteil, die Affirmation des Ist-Zustandes ist in der Regel die wichtigste Voraussetzung für anhaltenden Erfolg im Beruf.

So widersprüchlich es erscheinen mag, die “Künstlerkritik”, wie Luc Boltanski und Ève Chiapello sie nennen, wurde inzwischen unter dem Label der “Kreativwirtschaft” als Produktivkraft in den gegenwärtigen Kapitalismus eingemeindet. Die Künstlerkritik richtete sich ursprünglich gegen gesellschaftliche Umstände, die es den Individuen unmöglich machten, nach eigenen Maßstäben ein selbstbestimmtes und authentisches Leben zu führen. Die Kreativwirtschaft im engeren Sinne, gemeint sind Gestalter, Entwickler, freie Forschung usw., hat von der kritischen Haltung als Lebensform nur die Form übernommen, nicht aber die Haltung. Sie verwendet Kritik als Produktionsmittel, nicht um gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen, sondern um ökonomische Vorteile zu erzielen. Das gelingt deshalb so gut, weil die großen Konzerne sich inzwischen derselben Art zu denken bedienen müssen, um ihre Marktstellung zu verteidigen. Kreative und Konzerne gehen dabei eine Zweckgemeinschaft ein, die für die Unternehmen beständige Innovation zum Ziel hat.

Es scheint nun eher ein Problem für die Kunst zu sein, dass sie so wunderbar in die Produktionsprozesse der Industrie zu integrieren ist. Sie selbst verliert darüber natürlich an Widerständigkeit und auch das spielerische Moment der Kunst geht verloren, sobald sie anderen als ästhetischen Zielen verpflichtet ist. Für die zu Kreativarbeitern umgelernten Künstler ergeben sich daraus allerdings neue Verdienstmöglichkeiten. Problem gelöst, könnte man sagen, wer braucht schon Kunst. Aber daran hängt leider viel mehr als man denken möchte. Letztlich war die Kunst immer eine Form des Spiels, also eine Möglichkeit für Erwachsene vieles zu tun, ohne es ernst zu meinen. Wenn dieses “Prinzip Kunst” nun auf der einen Seite zum festen Bestandteil der kapitalistischen Arbeitsprozesse wird und auf der anderen Seite nur noch Produkte hervorbringt, die am Markt gehandelt werden können, seien es nun Kunstwerke oder Konsumprodukte, dann haben wir die Fähigkeit zu Spielen verloren und alles – Kritik, Spiel und Kunst – in Arbeit verwandelt. Ob das schon die Gegenwart oder erst die Zukunft der Arbeit beschreibt, ist unklar, offenbar befindet sie sich seit geraumer Zeit in einem dauernden Veränderungsprozess, was vor allem die Angestellten zu spüren bekommen, indem sie dauernden Strukturreformen und Weiterbildungen ausgesetzt sind.

Also, nochmal von vorn: Das hier ist Wasser. Von welcher Arbeit sprechen wir denn eigentlich; die meisten Jobs bleiben doch, was sie sind – Sklavenarbeit, Industriearbeit, Sexarbeit, aber das ist 3. Welt und nicht gemeint, das ist die Gegenwart, Vergangenheit und die Zukunft von Arbeit, nur eben nicht der unseren, wenn wir in der Organisation, der Verwaltung, der Gestaltung und am Verkauf von Dingen arbeiten, die hier bei uns ausgedacht und entworfen, aber nicht hergestellt wurden. Die Produktion ist ausgelagert und wird es bleiben. Deshalb müssen wir uns auch nicht zwingend mit dem Grundwiderspruch der heutigen Arbeitswelt beschäftigen. Der besteht nämlich darin, dass es Arbeit gibt, die Leben zerstört, die tötet, und dass es auf dieser Seite der Welt Arbeit gibt, die Leben bereichern, ja sogar erst lebenswert machen soll. Wenn also in Frage stehen sollte, wie die Zukunft der Arbeit aussieht, dann betrifft das nur einen kleineren Teil der arbeitenden Menschen, nämlich uns. Während für den Rest feststeht, dass er weiterhin unter Bedingungen arbeiten wird, die sich seit den Tagen der ersten Industrialisierung eher verschlechtert haben.