Nochmal zur nachholenden Trauer (DR8). An das Gefühl, um etwas lange Vergangenes zu trauern, knüpfte sich der Gedanke, dass die Trauer überleben konnte, weil etwas an ihr war, das damals noch nicht empfunden wurde. Dass die Erinnerung, an die sie gebunden ist, plötzlich seltsam anders erscheint. „So hab ich das noch nie gesehen“, könnte man sagen und fragen, warum nicht und was sich verändert hat?
Vielleicht ist dieses Gefühl identisch oder vergleichbar mit dem, was Freud als das „Unheimliche“ bezeichnete. Das sei, so sagte er, die Wiederkehr des Verdrängten, das wie ein Gespenst aus dem Unbewussten auftaucht und das beim Übertritt ins Bewusste, wie immer das geschehen mag, nun fremd, zugleich aber irgendwie auch bekannt zu sein scheint. Die im Wort versteckten Bedeutungen, heimlich und heimisch, sprechen laut Freud für diesen Zusammenhang: Und das „Un-„ steht nun für die Entbergung des im Eigenen (heimischen) versteckten (heimlichen).
Vielleicht spielt das Unheimliche eine Rolle bei der nachholenden Trauer, jedenfalls ist das Auftauchen von etwas bekannt Unbekanntem an ihr beteiligt, nämlich das neuerliche Gefühl einer Traurigkeit, die man lange überwunden glaubte.
Allerdings scheint es bei Freud doch um etwas anderes zu gehen. Die Trauer, die ich meine, ist erstens nicht unheimlich, sondern einfach sehr traurig, und zweitens knüpft sie sich an Erinnerungen, die nicht oder nur halb verdrängt waren. Im Gegenteil, es sind die gut bekannten Erinnerungen, die plötzlich – nur durch einen kleinen Anstoß – in einem anderen Licht erscheinen können. Das ist ja das Traurige: Das plötzliche Gefühl etwas Wichtiges, als es geschah, gar nicht wahrgenommen zu haben oder darüber weggegangen zu sein oder es mit Gewalt oder aus Angst oder aus Dummheit falsch gedeutet zu haben. Vielleicht kann ich es so sagen: Sich nicht getraut zu haben, etwas zu empfinden, als es sich ereignete.
Später, vielleicht aus einer Einsamkeit, oder mit zunehmenden Alter durch das natürliche Zurückfallen der Gedanken in die verflossene Lebenszeit, stoßen wir in Erinnerungen auf Gefühle, die nicht gelebt worden sind, die aber da waren, und – das ist seltsam – immer noch da sind, eingeschlossen wie in eine Glaskugel, die vor unseren Augen zerbricht. Sie entlässt eine Trauer, um die verpasste Lebendigkeit, die sich damals in Gefühlen hätte äußern wollen, aber nicht konnte.
Kommentar verfassen