Um die Tiere habe ich getrauert, als wären sie mir wichtig gewesen. Waren sie ja auch, nur wußte ich es vorher nicht, sie lebten ja noch. Und ich war ein Kind. Es ging von Tag zu Tag, immer ein bisschen älter, auch davon bekam ich lange nichts mit. Sie sind natürlich alle gestorben. Bis auf einen, der flog durch‘s offene Fenster und war weg. Aber auch der ist selbstverständlich schon lange tot, ich weiß nur nicht, wie er gestorben ist. Das war bei den anderen Tieren nicht so, da trat der Tod ein oder wurde herbeigeführt, und irgendwie waren wir immer daran beteiligt.
Die Meerschweinchen gingen alle ziemlich schnell ein, das sind keine zähen Biester, die letzten beiden frass der Nachbarshund. Die Katzen wurden eingeschläfert. Die Fische trieben mit dem Bauch nach oben, ich wechselte das Wasser zu oft, das vertrugen sie nicht. Einer hielt sich noch eine Weile. Ein „Black Guppy“, die sehen von Natur aus, als wären sie in Trauer. Ihre Schwanzflosse ist ein schwarzer Schleier. Manchmal fressen sie ihre Artgenossen auf. Keine anderen Fische, Schwarze Guppies fressen ausschließlich ihre Verwandten.
Der Schäferhund des Nachbarn wurde vergiftet (nicht von uns). Unsere erste Katze vom Bauer erschossen, weil sie auf seinen Feldern herumlief. Sie hatte ein schönes getigertes Fell, wahrscheinlich hat er ihren Kadaver liegen lassen. Wir haben sie nicht gefunden. Obwohl wir gesucht haben, tagelang, meine Mutter, mein Bruder und ich.
Ein paar Wasserschildkröten wurden im Gartenteich ausgesetzt, da vermehrten sie sich sogar noch. Ich denke, im Winter war es dann vorbei. Eine geriet versehentlich in die Kanalisation. Wer weiß.
Eine kleine Ente, ein biologisches Schulexperiment, wurde im Schlaf zerdrückt. Und somit der Beweis erbracht, dass Babyenten nicht auf junge, pubertierende Männer geprägt werden sollten. Das Tier hieß „Arnold“, aber auch das hat nicht geholfen.
Rih starb in den Armen von Old Shatterhand, alter Freund, bester Gefährte, die Geschichte zieht bis heute. Ein Pferd, ja, aber absolut keine Mädchengeschichte – denen sterben doch nicht die schönsten, treuesten Pferde weg. Oder doch?
Jack London, Wolfsblut… schrecklich.
Und mein Affe, 10 cm groß, mein ständiger Hosentaschenbegleiter, bis er irgendwo im Museum für Kunst und Gewerbe unbemerkt herausfiel. Der Verlust wurde im Museumsshop durch einen schönen, kleinen Holzmatrosen ersetzt, sonst hätte ich das Gebäude wohl nie verlassen. Ein Matrose? Ein Mensch! Wie sollte ich den lieben? Ich nahm es ihm zwar nicht persönlich übel, aber er war wie ein rot-weiß geringeltes Ausrufezeichen hinter dem von mir (versehentlich) begangenem Verbrechen – ich hatte meinen kleinen Affen in diesem riesigen Museum ausgesetzt. Da würde er nie wieder herausfinden, bis er entdeckt würde, aber natürlich nicht von mir. Das verfolgte mich einige Zeit, und auch die Frage, ob ich alles getan hatte, ihn zu retten. Ich war ja sofort in Tränen aufgelöst gewesen und innerlich völlig zusammengebrochen, gar nicht in der Lage, richtig zu suchen, obwohl ich wie rasend zurück in die Ausstellungsräume schoss. Ich kam nicht weit. Ein Wärter stoppte mich wie ein fliehendes Tier mit ausgebreiteten Armen und trieb mich dem Ausgang zu. Doch bei allem, und das ist bis heute hängengeblieben, hatte ich das Gefühl der totalen Hoffnungslosigkeit; ich wusste es gibt kein Zurück – vom ersten Moment an, als ich an die Hosentasche griff, wo ich den Affen mit dem Kopf hatte rausschauen lassen, und nichts spürte, weil da nichts mehr war.
Das ist Geschichte, keine große natürlich. Aber unvergessen. Und ich bin nicht allein, es ist Familiengeschichte, jeder von uns erinnert – auf eigene Art – ein bisschen davon und hat anderes vergessen. Gesprochen wird darüber kaum. Vielleicht ist es zu lange her. Und sie sind ja alle tot.
Kommentar verfassen