Gero von Randow stellt sich in der ZEIT Nr. 22 vor den Proll, also den Proletarier, der von Linken als Lumpenproletarier bezeichnet und ausgegrenzt würde, solange er nicht die vermeintlich richtige Meinung vertritt. Oder er wird von der Agenda 2010-Partei, die sich wahlkampfgemäß zur neuen Gerechtigkeitspartei erklärt, zum Pöbel abgewertet. Schlicht faul sind die, die die Hand aufhalten und sich nicht anstrengen wollen – im Unterschied zu den Erfolgreichen, die Reichtum geerbt oder anderweitig angehäuft haben, und für dessen Mehrung die SPD einsteht (Abschaffung Vermögenssteuer, Abschaffung der Erbschaftssteuer, TTIP etc.). „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ sagte Franz Müntefering – allerdings nicht als Vorwurf an Steuerflüchtlinge, Rentiers, Banker oder Millionenerben gerichtet, sondern als Kampfansage an die heute sogenannten Minderleister.
Von Randow kritisiert einen Paternalismus der Linken (wohl vor allem: Sozialdemokraten) – „Benachteiligte“ hätten „stets ein feines Gespür für Herabsetzung“. „Ein feineres als die Bürgerkinder (zu denen sich v. Randow zählt). Missverstehen wir (der durchschnittliche Zeit-Leser?) uns (ja.) nicht: Nazis und Rechtsradikale zu verachten, das gehört sich so. Doch wer in ihnen die sogenannte Unterschicht gering schätzt, der sendet allen, die zu ihr gehören, eine fatale Botschaft (…)“
Zwei Einwände drängen sich auf. Der Bürger ist eher ungehörig und zählt zur zentralen Wählerklientel der AfD (http://www.welt.de/politik/deutschland/article154899202/Die-AfD-ist-eine-Partei-der-Besserverdiener-und-Gebildeten.html). Und ist es nicht ebenso ein Paternalismus des Bildungsbürgers, wenn der sich von einer vermeintlich aufgeklärteren Warte aus aufschwingt zu einem Verstehen des kleinen Mannes? Sicher, allein selbstbestätigende Abgrenzungen nutzen niemandem. Aber der sogenannten Unterschicht, auch denjenigen, die nicht so reden und handeln, wie es sich „gehört“, zu signalisieren, dass man sie „schätzt“, hat wohl vor allem die positive Selbstbeschreibung des Bürgers zum Ziel, an dessen aktueller Integrität und Zurechnungsfähigkeit Zweifel angebracht sind.
(Gero von Randow: Verdummte dieser Erde. Einige Linke schauen auf den Proll herab, der nicht in ihr Arbeiterideal passt. Das ist arrogant. Genauso wie das Gerede vom „kleinen Mann“)
Juni 15, 2016 at 6:17 pm
„Der kleine Mann“ ist ja aktuell eine Wiederentdeckung der AfD und deshalb auch wieder in den Medien so präsent. Vor allem in Form der „kleinen Frau“. Erfunden haben sie das aber nicht:
„Der kleine Mann ist – und bleibt – eine der wirkungsmächtigsten Sozialfiguren, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Ein Vorführmodell und ein Phantom. Eine Phrase, die immer dann Konjunktur hat, wenn es im gesellschaftlichen Gebälk knirscht.“
https://www.freitag.de/autoren/nils-markwardt/kleiner-mann-warum
Juni 15, 2016 at 6:31 pm
„Du bist nicht ,das Volk‘, kleiner Mann. Du bist der Verächter des Volkes, denn du verwaltest nicht sein Recht, sondern deine Karriere.“
Wilhelm Reich, 1946