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Lost in Media

Kategorie: Allgemein (Seite 1 von 3)

Derealisationen (2)

Ich stieß beim unkonzentrierten Lesen auf einen Absatz, in dem die Rede war von „ontologischer Angst“, und ich blieb an dieser Formulierung hängen, weil dieser philosophische Jargon etwas herausfiel aus dem Text, und ich fragte mich, warum sagt er nicht einfach: „Todesangst“. Ich las den Absatz nochmal und der beste Grund, den ich für diese Formulierung fand, war der, dass sie mich beim Lesen stolpern ließ und darauf aufmerksam machte, dass an dieser Stelle ein Gedanke entwickelt wurde, der nicht einfach überlesen werden sollte: Die „ontologische Angst“ nämlich sei für den Sohn mit dem Tod des Vaters verbunden, der, wenn er denn eingetreten ist, nicht mehr vor dem eigenen Ableben stehen würde, und der Sohn müsste nun quasi dem Tod direkt ins Auge blicken und dabei erkennen: Ich bin als nächster dran.

Vater tot, Sohn, Tod.

Alles verschwindet, nur die psychoanalytische Überhöhung der Vaterrolle nicht. Und die Tochter hat offenbar andere Probleme.

Derealisationen (1)

Ich dachte darüber nach, was sich eigentlich verändert hatte. Jedenfalls gab ich mich ganz dem Alltag hin – bloß nicht so oft an meine toten Freunde denken – und war dabei umgeben von den vielen kleinen Illusionen, die sich abmühen, das echte Sterben symbolisch zu überbieten: Filme, Spiele, Serien, schöne Schuhe und vieles andere, was sich kaufen lässt, Alkohol, Reisen und so weiter. Und nicht Nachdenken. Trotzdem lief alles weiter wie bisher.
Das war wohl eine Sackgasse.

Besser wäre es vielleicht, zwar einfach weiterzumachen, aber mit einem kleinen „Spin“, der das Selbstgespräch (über das irgendwie zu lebende Leben) von innen nach außen dreht. Wie soll das gehen? Für mich: Erstmal beginnend mit kleinen Notizen (Derealisationen), die nichts klären, sondern mit dem fahrigen Gedankenstrom in die eine, dann in die andere Richtung treiben.

Vielleicht hilft ein bisschen Animismus – „Der Animismus stehe in Beziehung zum Traumerleben, in dem die Grenzen des individuellen Bewusstseins gegenüber der Außenwelt aufgehoben seien und das Gefühl einer ursprünglichen Einheit und mystischen Verbundenheit, ja sogar einer Harmonie zwischen Psyche und Kosmos bestehe.“ (Wikipedia)

Seit kurzem sehe ich mich selbst auf der Zielgerade. Ohne Ziel natürlich. Ob das depressiv oder hellsichtig ist, wird sich ja bald zeigen. Die Zukunft schrumpft Tag für Tag. Was übrig bleibt, sollte möglichst nicht vertan werden. Wie verschwende ich die knappe Zeit am besten, so dass ich nicht ständig das Gefühl habe, es zu versauen. Verschwendung? Ja, was sonst, aber irgendwie auf höherem Niveau.

Das geht sicher nicht einfach so. Dem steht der Egomanismus (Ggs. von Animismus) entgegen. Schritt 1 zur Linderung: sich selbst fremd werden. Derealisieren.

„Derealisation (oder präziser Derealisationserleben) bezeichnet eine zeitweilige oder dauerhafte abnorme oder verfremdete Wahrnehmung der Umwelt (etwa von Um­gebung, Per­sonen und Gegenstän­den). Die Umwelt scheint dabei häufig als Ganzes plötzlich unvertraut, auch wenn jedes Detail problemlos wiedererkannt und eingeordnet werden kann. Derealisation steht in enger Beziehung zum Depersonalisationserleben, bei dem die eigene Person als fremd empfunden wird.“ (Wikipedia)

Weihnachten – eine Heimsuchung

Alle 10 Monate nähert sich scheinbar zur Freude aller das alljährliche Weihnachtsspektakulum wie ein Sturm der Frömmelei und des schlechten Geschmacks. Die weihnachtliche Süßwarenmarge gelangt spätestens im September in die Supermärkte. Anfang November rüstet der sog. Einzelhandel weihnachtlich auf, inklusive Deko und festlicher Kundenbeschallung. Desgleichen sorgen Weihnachtsmärkte (59 allein in Berlin) für authentische Stimmung. Um dem Geist der Weihnacht teilhaftig zu werden, in natürlicher Verbindung mit der Erfüllung meiner primären Bürgerpflicht, bin auch ich an einen Ort des Produkterwerbs gepilgert. In der Adventszeit bin ich legitimiert zu ein wenig hemmungslosem Konsum. Weiterlesen

Berlin bleibt doch Berlin – die Berliner Abendschau vom 2.9.16

Es ist wieder soweit. Die Berliner Abendschau startet, wohl ähnlich wie Anfang der 70er Jahre, um 19.30 Uhr. Formal und inhaltlich hat sich nicht viel verändert. Das muss nicht von Nachteil sein. Würde meine Oma noch leben, könnte sie nach über 40 Jahren Abstinenz sicher mühelos an das Magazin anschliessen. “Hallo Berlin” ist die zeitlos volkstümliche Begrüßungsformel des Moderators Sascha Hingst.

“Die Flüchtlingkrise ist ein Milliardengeschäft für alle, die mit der Unterbringung der Menschen Geld verdienen”, so beginnt die Moderation zum ersten Beitrag und man fragt sich, ob nicht auch gilt: die sog. Flüchtlingskrise ist ein Milliardenverlust für alle, die mit der Unterbringung von Geflüchteten kein Geld verdienen. – Zwei Heimbetreiber werden des Betrugs verdächtigt; es hat Razzien gegeben. Die eindrucksvollste und abscheulichste Szene: Helmuth Penz, Chef des Unternehmens PeWoBe, älterer Herr in Anzug und Krawatte, besucht eines seiner Heime und nutzt die Anwesenheit der Kamera, baut sich gegenüber einem Kind auf, duckt sich wie ein Ringer, schaut ob die Kamera läuft, streckt wie ein perverser Clown die Zunge raus. Das Kind lächelt verlegen ob der absurden Überrumpelung. Man glaubt dem Mann sofort, dass er niemals illegal für fiktives Personal kassiert hat. Weiterlesen

Georg

Gegenwehr ist zwecklos. Duzen ist Pflicht. Wir werden ohne Umschweife nach unseren Vornamen gefragt. Dann stellt Georg sich vor und bietet uns an, mit den kurz vor uns eingetroffenen Gästen, denen er sein Auto geliehen hat, in die nächste größere Stadt (vermutlich Gartow oder Wittenberge) zum Essen zu fahren. Denn im näheren Umkreis gibt es keine Gastronomie.

Muff Potter ist die unmittelbare Assoziation bei Georg – allerdings in der freundlichen und liebenswerten Variante. Ein alter Herr mit weißem Vollbart und abgekämpften, von vielen Äderchen durchzogenen Augäpfeln. Seine Fahne ist unabweisbar und seine Bronchien können es mit den Quietschgeräuschen von CSU-Urgestein und Bayern-Separatist Wilfried Scharnagl allemal aufnehmen.

Kurz nach der Wende hat Georg seinen Job in Krefeld gekündigt. Mit seiner Frau kaufte er das gut erhaltene Gebäude im 105-Seelen-Dorf Wanzer am Aland in Sachsen-Anhalt http://www.ferienundwohnen.de/mieten/hotel-pension-hp31612?ps=deutschland-urlaub%2Faltmark%2Fferienunterkunft-in-aland-ot-wanzer. Vieles ist im ursprünglichen Zustand belassen. – Dann starb seine Frau. Georg hat das Haus längst seinem Sohn überschrieben. Das ehemalige kleine Gasthaus, zunächst nach der Wende noch als Dorftreffpunkt weiterbetrieben, ist heute Wohnbereich und Frühstücksraum für maximal 6 Gäste. An der Wand hängen seit Jahrzehnten diverse Geweihe und ein riesiger Wildschweinkopf. Tresen und Zapfhahn stammen vermutlich noch aus Vorkriegszeiten.

Am Morgen wirkt Georg ziemlich fit. Seine Garderobe passt zur Einrichtung: weites Shirt und Bollerhose mit Hosenträgern. Er macht selbst Frühstück und Kaffee für alle.

Seine Gestalt, seine nicht ohne eigenes Zutun beeinträchtigte Gesundheit und seine Direktheit flößen ein wenig Respekt ein. Hin und wieder streicht er seinen Gästen sanft über die Schulter, um seine Zuneigung auszudrücken – sicher könnte er selbst davon einige gebrauchen.

The long and winding road. Hoffentlich bist Du noch eine lange Weile unterwegs.

Wochen 18 &19 (Mai)

Die Wochenchronik registriert die Medienprodukte, mit denen die MICHMASCHINE unablässig gefüttert wird.

  • Karen Duve: Keine Ahnung (Buch) Erzählungen
  • Wolfgang Herrndorf: Bilder einer großen Liebe (Buch) Roman
  • Die Würde des Menschen ist kein Beauty Contest (online/Spiegel) Kolumne von Georg Diez
  • Michael Klonovsky: Der AfD-Mann vom „Focus“ und sein rassistisches Fanal (online/Übermedien) Kommentar von Michalis Pantelouris
  • Michel Houellebecq: Die Möglichkeit einer Insel (Buch) Roman
  • Wer hat Angst von Sibylle Berg? (Kino/Film) Dokumentarfilm von Wiltraut Baier und Sigrun Köhler
  • „Wer hat Angst vo Sibylle Berg?“ ist leider misslungen (online/morgenpost.de) Filmkritik von Matthias Wulff
  • Fest & Flauschig (online/Spotify) Podcast von Olli Schulz und Jan Böhmermann
  • Fest & Flauschig: Böhmermann: Er will doch nur spielen (online/SZ.de) Kritik von Felix Hütten

der, die Hocherotiker/in

(Wörterbuch)

Die Hocherotik wurde als ästhetische Kategorie eingeführt, um die sexuelle Erregung von Literaturkritikern bei der Rezeption von erotischen und/oder pornografischen Texten zu erklären. Dabei gilt, dass die Hocherotik aufgrund der besonderen künstlerischen Qualität ihrer Darstellung erregend wirkt, ganz im Gegensatz zur Pornografie, die durch vulgäre Bloßstellung sexueller Akte als minderwertig anzusehen ist. Die Zuschreibung der Qualität „hocherotisch“ dient als Sprachregelung innerhalb des Diskurses „Hochkultur“ dazu, Sexualität nicht mehr als schambesetzten körperlichen Triebvorgang zu verstehen, sondern als eine geistige Tätigkeit, die ausschließlich „Hochgebildeten“ zukommt.

Wochen 16 & 17 (April/Mai)

  • Karen Duve: Macht (Buch) Roman
  • AfD-Politiker greifen Petry wegen Rücktrittsdrohung an (online/faz.net) Artikel von Justus Bender
  • Weniger Schwule, mehr glückliche Familien: Das AfD-Wunschprogramm für ARD und ZDF (online/Übermedien) Interview von Stefan Niggemeier mit Armin-Paul Hampel
  • David Lynch präsentiert die Schauspieler von Twin Peaks (online/Süddeutsche.de) Artikel
  • Hauptsache, gebrüllt. „Macht“ von Karen Duve (online/faz.net) Rezension von Julia Encke
  • American Epic I (Kino/Haus der Kulturen der Welt) Dokumentar-Serie von Bernard MacMahon
  • Game of Thrones (DVD) TV-Serie, Staffel 5
  • Die Tribute von Panem: Mocking Jay, Teil 2 (DVD) Film von Francis Lawrence
  • AfD. Und jetzt? (TV/Phoenix) TV-Dokumentation von Wolfgang Minder, Achim Pollmeier und Rainer Fromm
  • Bundesparteitag der AfD (TV/Phoenix) Live-Übertragung

Woche 15 (April)

  • Schmähgedicht über Erdogan: Merkels Böhmermann-Problem (online/Spiegel) Artikel von Matthias Gebauer
  • Böhmermann und die Aufmerksamkeit: Superangreifbar, superungreifbar (online/Spiegel) Kolumne von Georg Diez
  • Wo sind nur die Mehmets geblieben? (online/taz.de) Kolumne von Julia Boek
  • Wir sind jung. Wir sind stark (TV/Arte) Film von Burhan Qurbani

Abgebrühte, die/der

(Wörterbuch)

Person, die öffentlich den Eindruck erweckt, dass von Anderen geäußerte Einsichten und Eindrücke (meist negativer Art) für sie „ein alter Hut“ also absolut unaufregend wären. Oft verwendete Standardformeln sind dafür z.B. „gähn“, „langweilig“ oder „das ist ja ganz was Neues“. Meistens handelt es sich bei den A. um sekundäre Medienproduzenten, die in Kommentarspalten von online veröffentlichten Inhalten zeigen wollen, dass sie schon lange durchschaut haben, was der Autor gerade darzustellen versucht. Die A. kann nichts mehr überraschen, deshalb entgeht ihnen oft, dass zwischen der Leistung einen Sachverhalt argumentativ/ästhetisch in darstellbare Form zu bringen und der einfachen Aussage „das habe ich auch schon gewusst“ ein qualitativer Unterschied besteht.

Artverwandt aber nicht identisch mit den A. sind die sogenannten Medientrolle.

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