Es ist wieder soweit. Die Berliner Abendschau startet, wohl ähnlich wie Anfang der 70er Jahre, um 19.30 Uhr. Formal und inhaltlich hat sich nicht viel verändert. Das muss nicht von Nachteil sein. Würde meine Oma noch leben, könnte sie nach über 40 Jahren Abstinenz sicher mühelos an das Magazin anschliessen. “Hallo Berlin” ist die zeitlos volkstümliche Begrüßungsformel des Moderators Sascha Hingst.
“Die Flüchtlingkrise ist ein Milliardengeschäft für alle, die mit der Unterbringung der Menschen Geld verdienen”, so beginnt die Moderation zum ersten Beitrag und man fragt sich, ob nicht auch gilt: die sog. Flüchtlingskrise ist ein Milliardenverlust für alle, die mit der Unterbringung von Geflüchteten kein Geld verdienen. – Zwei Heimbetreiber werden des Betrugs verdächtigt; es hat Razzien gegeben. Die eindrucksvollste und abscheulichste Szene: Helmuth Penz, Chef des Unternehmens PeWoBe, älterer Herr in Anzug und Krawatte, besucht eines seiner Heime und nutzt die Anwesenheit der Kamera, baut sich gegenüber einem Kind auf, duckt sich wie ein Ringer, schaut ob die Kamera läuft, streckt wie ein perverser Clown die Zunge raus. Das Kind lächelt verlegen ob der absurden Überrumpelung. Man glaubt dem Mann sofort, dass er niemals illegal für fiktives Personal kassiert hat.
Auch der zweite Bericht ist informativ und interessant. “Kapitalismus abschaffen, alle Grenzen öffnen, Schulden machen und umverteilen, das sind die Kernforderungen der Aktivisten, die sich selbst ‚Blockupy‚-Bewegung nennen, ein Wortspiel…”, das Herr Hingst dann zum Glück erklärt. Und der smarte Moderator lässt schon ahnen, dass es zur Abschaffung des Kapitalismus dann doch nicht gereicht hat. Autor Norbert Siegmund liefert solide Informationen über die Aktionen ab.
Berliner Startup-Unternehmen werden in der Abendschau regelmäßig unkritisch gehypt. Die sog. Startup-Schmiede Zalando sowieso. Der Internet-Händler hat die Modemesse Bread & Butter übernommen. Weltniveau.
Dann berichtet Ulli Zelle von der Internationalen Funkausstellung. Zu Anfang wird zwar süffisant ein verschmortes Note 7 gezeigt, das Samsung wieder vom Markt nehmen muss. Dann wird es doch sehr lapidar, der Autor fügt den präsentierten technischen Innovationen vielleicht feine Ironie hinzu, die er selbst wohl am besten versteht. Befremdlich sind die Kommentare der Besucher, die offenbar eine nahezu religiöse Beziehung zu dem haben, was sie für technischen Fortschritt halten: zum Beispiel das sog. SmartHome, die Vernetzung und digitale Steuerung des Haushalts.
Es folgen Berichte über ein vom rbb selbst veranstaltetes Popfestival und über die Pleite der Fitnessstudio-Kette der Jopp-Brüder. Diese konnten offenbar mit dem Namen der Franchisegeberin Madonna, einer älteren Dame aus dem Musikgeschäft, nicht punkten und obendrein deren Franchisegebühren nicht mehr bezahlen.
Zur Grundsteinlegung eines Einkaufzentrums gehört performancemäßig das Anbringen von Graffiti an Mauern ebenso wie Hostessen und Anzugträger anbei. So verhält es sich auch auf dem Gelände der ehemaligen Schultheiß-Brauerei in Moabit, wo der Investor Harald Huth sich mit 150 Geschäften begnügt, während seine Mall of Berlin 270 Shops und 1000 Pkw-Stellplätze bereitstellt. – Welche Sonderkonditionen er mit Hilfe sozialdemokratischer Politiker diesmal für sich rausschlagen kann, wird sich noch zeigen.
Mit einem waschechten Berliner und Startupper in Peking sowie einer Volksbelustigung in der brandenburgischen Provinz geht die Sendung zu Ende. Zum Schluss folgt ein Programmhinweis auf die rbb Reporter, die über die Torstraße in Mitte berichten, “zwischen Party und Start-Up”. Es scheint ein großer Gewinn für die Stadt zu sein, das alles international, chic und teuer ist. „Das ist eben Berlin“, wie der Moderator an anderer Stelle bemerkt.
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