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Lost in Media

Autor: Otto Tönse (Seite 2 von 2)

Gefährder

Der Innenausschuss des Landtages von NRW tagt zum Fall Amri: Statt Aufklärung oder irgendwie greifbarer Ergebnisse inszenieren die Beteiligten ein Schmierentheater, irgendetwas zwischen juristischem Proseminar, Wahlkampf und Kabarett. So erlebt es der DLF-Berichterstatter Jürgen Zurheide. (Deutschland heute, 19.1., 14.23 Uhr)

Anne Will lacht herzlich in Richtung Edmund Stoiber, der sich riesig darüber freut, mit Olaf Scholz einer Meinung zu sein. Und wirklich: beide unterscheidet vor allem das Temperament, sonst sind beide im totalen Anti-Terror-Modus. Weiterlesen

Weihnachten – eine Heimsuchung

Alle 10 Monate nähert sich scheinbar zur Freude aller das alljährliche Weihnachtsspektakulum wie ein Sturm der Frömmelei und des schlechten Geschmacks. Die weihnachtliche Süßwarenmarge gelangt spätestens im September in die Supermärkte. Anfang November rüstet der sog. Einzelhandel weihnachtlich auf, inklusive Deko und festlicher Kundenbeschallung. Desgleichen sorgen Weihnachtsmärkte (59 allein in Berlin) für authentische Stimmung. Um dem Geist der Weihnacht teilhaftig zu werden, in natürlicher Verbindung mit der Erfüllung meiner primären Bürgerpflicht, bin auch ich an einen Ort des Produkterwerbs gepilgert. In der Adventszeit bin ich legitimiert zu ein wenig hemmungslosem Konsum. Weiterlesen

Berlin bleibt doch Berlin – die Berliner Abendschau vom 2.9.16

Es ist wieder soweit. Die Berliner Abendschau startet, wohl ähnlich wie Anfang der 70er Jahre, um 19.30 Uhr. Formal und inhaltlich hat sich nicht viel verändert. Das muss nicht von Nachteil sein. Würde meine Oma noch leben, könnte sie nach über 40 Jahren Abstinenz sicher mühelos an das Magazin anschliessen. “Hallo Berlin” ist die zeitlos volkstümliche Begrüßungsformel des Moderators Sascha Hingst.

“Die Flüchtlingkrise ist ein Milliardengeschäft für alle, die mit der Unterbringung der Menschen Geld verdienen”, so beginnt die Moderation zum ersten Beitrag und man fragt sich, ob nicht auch gilt: die sog. Flüchtlingskrise ist ein Milliardenverlust für alle, die mit der Unterbringung von Geflüchteten kein Geld verdienen. – Zwei Heimbetreiber werden des Betrugs verdächtigt; es hat Razzien gegeben. Die eindrucksvollste und abscheulichste Szene: Helmuth Penz, Chef des Unternehmens PeWoBe, älterer Herr in Anzug und Krawatte, besucht eines seiner Heime und nutzt die Anwesenheit der Kamera, baut sich gegenüber einem Kind auf, duckt sich wie ein Ringer, schaut ob die Kamera läuft, streckt wie ein perverser Clown die Zunge raus. Das Kind lächelt verlegen ob der absurden Überrumpelung. Man glaubt dem Mann sofort, dass er niemals illegal für fiktives Personal kassiert hat. Weiterlesen

Georg

Gegenwehr ist zwecklos. Duzen ist Pflicht. Wir werden ohne Umschweife nach unseren Vornamen gefragt. Dann stellt Georg sich vor und bietet uns an, mit den kurz vor uns eingetroffenen Gästen, denen er sein Auto geliehen hat, in die nächste größere Stadt (vermutlich Gartow oder Wittenberge) zum Essen zu fahren. Denn im näheren Umkreis gibt es keine Gastronomie.

Muff Potter ist die unmittelbare Assoziation bei Georg – allerdings in der freundlichen und liebenswerten Variante. Ein alter Herr mit weißem Vollbart und abgekämpften, von vielen Äderchen durchzogenen Augäpfeln. Seine Fahne ist unabweisbar und seine Bronchien können es mit den Quietschgeräuschen von CSU-Urgestein und Bayern-Separatist Wilfried Scharnagl allemal aufnehmen.

Kurz nach der Wende hat Georg seinen Job in Krefeld gekündigt. Mit seiner Frau kaufte er das gut erhaltene Gebäude im 105-Seelen-Dorf Wanzer am Aland in Sachsen-Anhalt http://www.ferienundwohnen.de/mieten/hotel-pension-hp31612?ps=deutschland-urlaub%2Faltmark%2Fferienunterkunft-in-aland-ot-wanzer. Vieles ist im ursprünglichen Zustand belassen. – Dann starb seine Frau. Georg hat das Haus längst seinem Sohn überschrieben. Das ehemalige kleine Gasthaus, zunächst nach der Wende noch als Dorftreffpunkt weiterbetrieben, ist heute Wohnbereich und Frühstücksraum für maximal 6 Gäste. An der Wand hängen seit Jahrzehnten diverse Geweihe und ein riesiger Wildschweinkopf. Tresen und Zapfhahn stammen vermutlich noch aus Vorkriegszeiten.

Am Morgen wirkt Georg ziemlich fit. Seine Garderobe passt zur Einrichtung: weites Shirt und Bollerhose mit Hosenträgern. Er macht selbst Frühstück und Kaffee für alle.

Seine Gestalt, seine nicht ohne eigenes Zutun beeinträchtigte Gesundheit und seine Direktheit flößen ein wenig Respekt ein. Hin und wieder streicht er seinen Gästen sanft über die Schulter, um seine Zuneigung auszudrücken – sicher könnte er selbst davon einige gebrauchen.

The long and winding road. Hoffentlich bist Du noch eine lange Weile unterwegs.

Der Friseur – Moabit kommt

Wo viele Jahre ein mit Druckerzeugnissen vollgestopfter Zeitungsladen sein am Ende tristes Dasein fristete, ist ein hiper Friseur eingezogen. Junge Menschen in Röhrenhose, mit Kopfbedeckung auch im Hochsommer, Bart (soweit möglich), dick gerandeter Brille, Nasenring sowie Tattoo signalisieren in authentischer Weise, dass man hier zu immensen kreativen Leistungen prädestiniert und bereit ist. Sicher sind alle große Idealisten oder wollen zumindest so erscheinen. Individualismus, unbedingter Wille zur kreativen Gestaltung nicht nur des Haupthaares, sondern des gesammten Lebens, Wettbewerbsfähigkeit und gediegenes Stilempfinden bilden hier keinen Gegensatz, sondern amalgamieren auf höchstem Ich-Level miteinander. Hinzu kommt ein deutlich sichtbarer bildungsbürgerlicher Hintergrund: Alle paar Tage erscheint auf einer Schiefertafel, daselbst mit Kreide beschrieben, ein neues Sprüchlein für die geschätzte Kundschaft, die anscheinend prinzipiell mehrheitlich im Freundeskreis angesiedelt ist. Neoliberale Weisheit wird feil geboten, ewig geltend und von bekannten Klassikern ausgebrütet. Deren Lebensweisheiten waren nicht immer vom Geist des Individualismus resp. Egoismus und des freien Marktes durchdrungen – bei den jungen Barbieren aber gibt es nur das: den Einzelnen mit dem festen Willen zu Erfolg, Leistung, Lifestyle, Selbstverwirklichung, zu Innovation, Einzigartigkeit, Risikobereitschaft, Glück. Wer auf Gesellschaft verweist, also bestehende Ordnungen, Institutionen, Zwänge, ist am falschen Ort. Unangepasstes Angepasst-Sein wird hier geschätzt.

Gesellschaft gibt es nicht. Von sowas reden nur Menschen mit negative Vibes oder Hartz IV-Empfänger. Solange der Zitatenschatz nicht erschöpft ist, wird an der Selbstermächtigung jedes einzelnen Menschen gearbeitet, d.h. vor allem: Grund zu Jammern oder zu Ohnmachtsgefühlen gibt es nicht. Das scheint hier vollends verinnerlichte Selbstverständlichkeit. Wer seine Biographie nicht selbst schreibt bzw. dazu zu schwach ist, hat selber Schuld. – Und wer es immer noch nicht verstanden hat, schaue unter Erfolgszitate.de nach – oder eben auf besagte Schiefertafel. (Nach dem Sinnspruch folgt der Gruß an die werte Kundschaft, immer mit Aufforderungscharakter, etwa: Genießt Euer Wochenende!) Die letzte handgeschriebene Botschaft lautet:

„Auf der Suche nach neuen Inspirationen sind wir mal weg! (Urlaub)

Das Außergewöhnliche geschieht nicht auf glattem, gewöhnlichem Wege (Goethe)

Schöne Zeit Euch!“

Der legendäre kleine Mann – DIE ZEIT versteht ihn

Gero von Randow stellt sich in der ZEIT Nr. 22 vor den Proll, also den Proletarier, der von Linken als Lumpenproletarier bezeichnet und ausgegrenzt würde, solange er nicht die vermeintlich richtige Meinung vertritt. Oder er wird von der Agenda 2010-Partei, die sich wahlkampfgemäß zur neuen Gerechtigkeitspartei erklärt, zum Pöbel abgewertet. Schlicht faul sind die, die die Hand aufhalten und sich nicht anstrengen wollen – im Unterschied zu den Erfolgreichen, die Reichtum geerbt oder anderweitig angehäuft haben, und für dessen Mehrung die SPD einsteht (Abschaffung Vermögenssteuer, Abschaffung der Erbschaftssteuer, TTIP etc.). „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ sagte Franz Müntefering – allerdings nicht als Vorwurf an Steuerflüchtlinge, Rentiers, Banker oder Millionenerben gerichtet, sondern als Kampfansage an die heute sogenannten Minderleister. Weiterlesen

Im TAZ.lab

Die Anhängerschaft einer Tageszeitung der linken Mittelschicht resp. der Partei der Wähler mit dem höchsten Durchschnittseinkommen feiert sich selbst. Natürlich auf dem Niveau der auf sie verwendeten Bildung, die zu leugnen man wirklich keinen Grund hat. Aktuelle gesellschaftliche Debatten werden geführt: Flüchtlingspolitik, Terror, TTIP, Feminismus etc. Die Beiträge sind gehaltvoll und bedenkenswert, wenn auch zumeist auf einer theoretischen Ebene angesiedelt, die das Gesagte gegen Widersprüche oder Unverträglichkeiten mit der Wirklichkeit absichert. Veranstaltungsort ist das Haus der Kulturen der Welt, Konferenztag ist der 2. April 2016. Weiterlesen

Stimmungen

Heinz Bude präferiert die Gelassenheit als angebrachte Stimmung (Kulturzeit 14.3.) in unruhigen Zeiten. Auch in Bezug auf die AfD plädiert er für einen abwartenden Umgang mit der teilweise moderat oder eben extrem rechts eingestellten Partei. – Aber ist nicht der Erfolg der AfD zentral darin begründet, Ressentiments, oft: Hass, endlich auch öffentlich ganz frei äußern oder herausschreien zu können? Rassismus, ganz authentisch und mit guten Gewissen. Auch wenn sich die Partei nach dem Einzug in drei weitere Landtage seriös geriert und von Journalisten auch so behandelt wird, als sei sie ganz normaler Bestandteil im Streit der Meinungen. Inwiefern jedoch die Auseinandersetzung mit realen gesellschaftlichen Verhältnissen für diese Klientel angenommen werden kann, ist doch fraglich. Viele sind froh, sich nicht mehr für ihre rabiat beschränkte Weltsicht rechtfertigen zu müssen.

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