Gestern wusste ich mal wieder nicht, wohin mit dem ganzen Geld.
„Dieses Mal ist es noch mehr“, sagte der Lieferant und schleppte ein Dutzend schwarze Müllsäcke vor meine Wohnungstür.
„Wohin damit“, fragte er. „Tja, wohin damit“. Wir gingen hinein und standen dicht beieinander auf dem kleinen Fleck, der mir als Lebensraum geblieben war, in der Mitte des Wohnzimmers, in dieser dunklen Höhle, umgeben von schwarzen Säcken, die an allen Wänden bis unter die Decke wuchsen. Selbst die Fenster waren dicht gestellt, das hatte ich bis zuletzt zu verhindern versucht, irgendwann musste ich mich der bösartigen Wucherung, die meine gesamte Wohnung, ausgehend vom Stauraum unterm Bett, befallen hatte, ergeben und die letzten Bastionen fallen lassen: Die Badewanne, die Fensterwände, drei Säcke hatte ich inzwischen mit ins Bett genommen. Das hätte ich ruhig früher machen können, ich hielt das Bett lange für meinen letzten unantastbaren Rückzugsraum, dann stellte ich fest, dass es sowas für mich nicht mehr gab und nahm ein paar Säcke mit hinein; es schlief sich gut mit ihnen.
Wir standen gedrängt beieinander, er, stämmig, klein, einen Sack auf jeder Schulter, ich, lang, dünn und gebogen, ratlos mit der Taschenlampe funzelnd.
„Und nun“, fragte er und sah mich von unten her ängstlich an. Es war bedrohlich hier, ich fühlte mich natürlich auch nicht wohl, zwischen den dicht gestopften und verschlungenen Innereien meines Geldbergs. Möglicherweise bestand Einsturzgefahr. Im schwachen Licht glänzte die dünne Plastikhaut feucht und ungesund, das Raumklima war furchtbar, uns fiel das Atmen schwer.
„Raus hier“, krächzte ich. Mir schlug das Herz im Hals, die Brust schmal und von schweren Gewichten bedrückt, versuchte ich nicht ohnmächtig zu werden. Atmen, sagte ich mir, einfach weiter Atmen, das geht vorbei. Dem Lieferanten ging es auch nicht gut. Er ließ sich das nicht zweimal sagen, die Säcke glitten zu Boden, und er huschte mir voraus durch den engen Gang zum Flur und weil es dort nicht besser wurde, ins Treppenhaus, wo wir durchschnauften, als wären wir mit letzter Luft aus großer Tiefe aufgetaucht.
„Schrecklich“, sagte er nach einer Weile. Ich nahm mein Handy zur Hand und rief meinen Bruder an.
„Hast du noch ein Plätzchen frei“, fragte ich. Er hatte wohl geahnt, weshalb ich ihn anrief, jedenfalls kam seine Antwort, ohne zu zögern: „Bleib mir vom Leib“, rief er, „ich weiß selbst nicht, wohin mit dem Zeug.“
„Es ist aber ein Notfall“, sagte ich. „Ich hol es auch bald wieder ab, ich lass dich ganz bestimmt nicht darauf sitzen. Nur noch dieses eine Mal“, flehte ich und schämte mich nicht dafür, dass meine Stimme bebte, mir kamen die Tränen.
„Ich kann dir wirklich nicht helfen“, antwortete er, einfühlsam, weich, brüderlich im Tonfall, aber in der Sache blieb er hart. Es hatte keinen Zweck.
Ich war auf mich allein gestellt. Niemand konnte mir jetzt noch helfen. Ich fühlte mich verlassen, einsam wie noch nie. Dann sah ich den Lieferanten an, er war ja noch da, saß auf dem Treppenabsatz und wartete geduldig. Ein braver, subalterner Geist, der nur Befehle ausführte, das ganz sicher, aber ich konnte nicht anders, als wütend auf ihn zu werden. Warum machte er mir solche Probleme?
„Können sie die Lieferung nicht einfach wieder mitnehmen?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
„Das kann ich nicht machen, das bleibt an mir hängen, dann kann ich gleich einpacken.“
„Nehmen sie es doch mit nachhause“, versuchte ich es nochmal.
„Das geht wirklich nicht“, sagte er, „bei mir wird es auch immer voller.“
„Wir lassen es erstmal hier im Treppenhaus stehen“, sagte ich und sah, wie erleichtert er war.

Am nächsten Morgen war alles noch da, bald würden sich die Nachbarn beschweren.
Ich ging die Straße runter ins Café, ich brauchte Zeit, um nachzudenken. Vor den Häusern lagen Säcke auf großen Haufen. Einige waren aufgeplatzt, einzelne Scheine wurden vom Wind heraus gezerrt und wirbelten zusammen mit dem Herbstlaub über den Gehweg. Bald würde es kalt werden, es lag so etwas in der Luft. Der Kaffee war sehr gut und kostete 1 Cent. In die Supermärkte zu gehen, hatte auch keinen Zweck, dort gab es seit Wochen die „Alles-umsonst-Tage“.
Wieder zuhause, gelang es mir nicht die Wohnungstür zu öffnen. Nur kleiner Spalt tat sich auf, ganz gleich, wie stark ich drückte, die Tür gab immer nur ein paar Zentimeter nach, bis sie aufgehalten wurde vom Gewicht der dahinter versammelten Masse. Die Höhle musste eingestürzt sein. Ich dachte kurz nach, was nun zu tun sei, dann ging ich in den Keller, nahm meinen Schlafsack und wechselte die Schuhe; meine alten Wanderstiefel wären für die kommenden Herausforderungen sicher besser geeignet, dachte ich. Dann ging ich rüber in den Volkspark, den ich schon lange nicht mehr aufgesucht hatte, dabei lag er gleich auf der anderen Straßenseite. Viel hatte sich nicht verändert. Das Café stand jetzt leer. Vielleicht war der Pächter gestorben oder die Geschäfte liefen nicht mehr. Hinter der Baracke suchte ich mir ein ruhiges Plätzchen im Gebüsch und rollte meinen Schlafsack aus. Erstmal durchatmen, dachte ich, und fühlte mich schon viel freier – ohne meine Geldprobleme.