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Lost in Media

Monat: Dezember 2017

Es ist vorbei

Es war ja noch sehr sonnig, ich putzte meine Sonnenbrille mit einem dieser kleinen seidigen Tücher vom Optiker. Das Tuch sah aus wie ein Leichentuch, tiefschwarz, glänzend, die Ränder zackig wie Sägeblätter. Man hätte eine junge Feldmaus damit abdecken können oder einen sehr großen Käfer. Die Stimmung war dahin.
Waren diese Tücher früher nicht immer weiß gewesen? Früher – als die Dinge noch schön waren -, als man glaubte, es werde gut und dass es mit dem Krieg bald mal vorbei sein müsste, und man auch nicht dauernd so traurig war, irgendwem oder -was nachtrauerte, und sich nicht so sehr danach sehnte, dass alles ganz anders sei, die Arbeit, der Alltag, die Liebe, einfach alles, das eigene Leben, an dem nichts auszusetzen ist, außer dieser Unzufriedenheit. Vorbei. So ein Jammer.
Yoga, wird helfen, Körper und Geist, da hängt ja alles dran, eine ganze Philosophie, die östliche Weisheit, die kann nicht nutzlos sein; Meditation, oder lieber Therapie, natürlich, aber welche zahlt die Kasse?; und Urlaub muss sein, nur wohin, es ist überall so touristisch geworden; die Kinder sind aus dem Haus?, darauf hatte man doch gewartet, und jetzt?, jetzt kommen sie viel zu selten vorbei. Vorbei. Und die Weltlage?
Auf Youtube gibt es alles, Simon & Garfunkel zum Beispiel. Das ist so traurig, Sounds of Silence: Hello Darkness my old friend, hatte man früher nicht anders geweint, süßer, irgendwie? Wieso ist diese Live-Aufnahme schon 50 Jahre alt? Und David Bowie: Ist der wirklich tot? Leider, muss man sagen, ja, the King left the Building, richtig tot, nicht wie Elvis, der natürlich nicht auf der Toilette sitzend gestorben ist, sondern immer noch lebt, wie seine Fans wissen, in der Südsee oder auf dem Mond. Die Zeit der Unsterblichkeit ist vorbei. Nostalgie ist tödlich. Vorbei. Es ist zum Heulen.
Hypnotherapie, 120 Euro die Stunde, keine Kassenleistung, such dir deinen Wohlfühlort und begib dich dorthin, an einen Strand, auf eine Wiese, dein Kinderzimmer, der Wald von früher, als man noch nicht Spazieren gegangen ist, als Spazieren gehen einfach nur langweilig war, mit den Eltern, ach, die armen Eltern, die immer auf den Wegen blieben, such diesen Ort und begib dich dorthin, von da sieht die Welt ganz anders aus, und komm langsam zurück, bei Acht bist du wieder wach, und nimm dieses gute Gefühl mit in den Tag; aber eine Langzeitwirkung ist nicht belegt, das ist schnell vorbei.
Kauf dir mal was Schönes. Oder was Praktisches, eine neue Matratze zum Beispiel, vielleicht kommt die Schlaflosigkeit vom schlechten Liegen, bessere Schlafhygiene insgesamt wäre noch besser, oder doch was Schönes, ein Bild, eine künstlerische Fotografie, das ist mal was Neues, und es anzuschauen ist immer wieder interessant, für eine Weile, aber im Großen und Ganzen wäre die Matratze doch nötiger. Für eine neue Matratze ist es nie zu spät, lohnt sich das noch?, bitte, was für eine Frage, es wird wohl noch genug Zeit zum Schlafen bleiben, soviel Hoffnung muss sein.

Personality Showdown

Nach der Musik änderte die Moderatorin die Tonlage. Die Gesichter wurden ernst. Der Autor war dran. Sie las seine Kurzbiografie von der Moderationskarte ab, nur die wichtigsten Stationen einer beachtlichen Karriere, fügte sie hinzu. Er saß da wie versteinert, vorgebeugt, die Arme auf den Lehnen und blickte zu Boden. Man wisse ja, dass er sich in der Öffentlichkeit rar mache, deshalb sei es eine besondere Ehre ihn in der Sendung begrüßen zu dürfen. Es gab zaghaften Applaus und er rührte sich ein bisschen, nickte mit dem Kopf, aber seine Augen waren immer noch nicht zu sehen. Eine junge Schauspielerin, die vor ihm an der Reihe gewesen war, sah ihn an und lächelte, von Künstler zu Künstler, ihr Gesicht füllte den Raum.
Ob es seine Talkshow-Premiere ist, fragte die Moderation.
Ja, sagte der Autor.
Sie geben auch keine Lesungen, das ist ungewöhnlich, sagte sie, scheuen sie den Kontakt mit ihren Lesern?
Ich kann das nicht, sagte er und sah sie an, dabei kommen völlig falsche Töne heraus. Ich schreibe nicht, um meine eigenen Texte zu lesen, das wäre ein Bruch der Intimität zwischen Leser und Text. Als Leser sollte man schon selber lesen können.
Das war ein Lacher. Auch die Moderatorin lächelte.
Aber üblich ist das nicht, sagte sie. Das gehöre zum Kerngeschäft, ob der Verlag nicht Druck mache?
Was geht mich das an, sagte er.
Sie wollen ihre Bücher verkaufen, vermute ich mal.
Aber nicht um jeden Preis. Ich finde das abstoßend, wie die Autoren ins Rampenlicht gezerrt werden. Als wäre der Text nichts wert, wenn der Schreiber sich nicht gleich mitverkauft.
Natürlich geht es ihnen in erster Linie um ihre Arbeit,
dabei hielt sie sein neuestes Buch in die Kamera,
aber sie sind doch auch eine interessante Persönlichkeit, das muss sich doch nicht ausschließen.
Woher wollen sie denn wissen, dass ich eine interessante Person bin?
Das entnehme ich ihrem Buch, ich finde es sehr lesenswert.
Das macht doch keinen Sinn, sagte er und warf einen Blick in die Runde, es gibt überhaupt keine interessanten Persönlichkeiten.
Dann können wir unsere Sendung ja einstellen.
Von mir aus gern!
Warum sind sie dann in unsere Sendung gekommen?
Genau deshalb!
Damit wir unsere Sendung einstellen?
Kann man so sagen.
Das ist ein bisschen viel verlangt, mischte sich jetzt ihr Moderatorenkollege ein. Wir sollen unsere Sendung einstellen, weil sie sich für eine uninteressante Person halten? Das ist vielleicht auch nicht ganz fair unseren anderen Gästen gegenüber.
Die haben doch auch nichts zu sagen, sagte der Autor.
Wenn ich mal was dazu sagen darf, sagte ein Sänger, der am Anfang der Sendung seinen Auftritt gehabt hatte, ich finde das nicht sehr höflich von ihnen, aber geschenkt. Nur: Was wären sie denn ohne ihre Leser?
Dann wäre ich ein Autor ohne Leser, sagte der Autor.
Und damit wären sie glücklich?, fragte der Sänger.
Glücklich bin ich jetzt auch nicht.
Das merkt man, sagte die Moderatorin und da bereits die Musik zum Ausklang der Sendung lief, bedankte sie sich ausdrücklich bei allen Gästen und lud die Zuschauer ein, bei der nächsten Sendung am kommenden Freitag wieder dabei zu sein.

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