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Lost in Media

Monat: April 2017

Post Mortem Politics III

April 2017

 

Die SPD übt sich in Glückseligkeit. Die FAZ präsentiert wunschgemäß die Partei des Martin Schulz schon wieder im Abwind. Jedenfalls lässt Schulz bis heute eine inhaltliche Präzisierung seiner Gerechtigkeitskampagne vermissen. Im Gegenteil. Einem Ende der Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger erteilte er in der Rheinischen Post vom 17.3. eine Absage. “Bei den Sanktionen geht es ja nicht um Schikanen”. Wenn Leistungsempfänger ihren Auflagen nicht nachkommen, soll es bei den Sanktionen bleiben. Eine Berliner Arbeitsagentur und ein Jobcenter in Berlin haben jüngst eine schwer depressive Frau für gesund erklärt; sie solle doch ihr “Restleistungsvermögen” zur Verfügung stellen, sprich: Vollzeit arbeiten. Ihr wurden die amtlichen Zahlungen gestrichen. http://www.berliner-zeitung.de/berlin/psychische-erkankungen-arbeitsagentur-berlin-erklaert-schwer-depressive-frau-fuer-gesund-26296258

Weit über 400.000 Personen sind 2016 von Jobcentern teils mehrfach sanktioniert worden. Jeder dritte Widerspruchsführer und fast jeder zweite Kläger bekam nach einem Prozess sein Geld ganz oder teilweise zurück. Schulz will daran nichts ändern. Selbst die Erhöhung des Schonvermögens für Hartzempfänger ist für ihn kein Thema.

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Verschwende deine Tugend

Sport
Als ich einmal ganz entzückt war über eine Kleinigkeit, sagte jemand mir, das sei jetzt aber ziemlich übertrieben gewesen. Und ich schämte mich für einen kurzen stillen Moment. Dann fiel mir mein Basketball-Trainer ein, den die Schiedsrichter während der Spiele immer wieder ermahnen mussten, bitte nicht so euphorisch zu sein. Er reagierte empört auf die Ermahnungen und sagte dazu: “Ich lass mir doch die Freude am Spiel nicht verbieten”. Dann setzte er sich und gab Ruhe bis zum nächsten Punkt oder halbwegs gelungenen Pass, der ihn vor Begeisterung vom Stuhl riss. Niemals wurde unser Trainer laut, weil er etwas zu bemängeln hatte, er liebte das Spiel und er fand jeden seiner Spieler ganz großartig, obwohl wir meistens verloren haben. Als wir zum Auftakt eines Spiels einen perfekten Spielzug vortrugen und ihn mit Punkten krönten, rief er uns klatschend von der Seitenlinie zu: “Saubere Ausführung! Nächstes Mal bitte auf den gegnerischen Korb”. Das war keine Ironie, er sah das Gute immer im Detail. Trotzdem schämten wir uns ein bisschen. Dieses Spiel gegen den Tabellenführer hätten wir übrigens fast gewonnen, da unsere Gegner, allesamt brillante Techniker, mit unserer verwirrenden Spielweise nicht klarkamen.
Mir ging das alles durch den Kopf und was für einen Spaß wir dabei gehabt hatten, vor jetzt fast 25 Jahren. Dann sah ich mir unauffällig den Mann an, der neben mir saß und der mich gerade eben getadelt hatte, und fragte mich, ob er so etwas auch mal erlebt hatte. Er starrte weiter geradeaus, obwohl er meinen Seitenblick auf sich spürte und etwas nervös wurde. Könnte gut sein, dachte ich, wahrscheinlich hat er es nur vergessen.

Pornoise
Meine Nachbarin vom Treppenaufgang nebenan hat ein unverwechselbares Lachen. Zwar habe ich sie noch nie gesehen, und wahrscheinlich würde ich sie auch nicht erkennen, aber da ich mir inzwischen ein eigenes Bild von ihr gemacht habe, weiß ich sowieso, dass sie ein Zille-Original sein muss: Plump, rotwangig, versoffen, lüstern bis in die Haarspitzen, also dermaßen primitiv, dass man vor Scham den Blick abwenden möchte, es aber nicht kann. Sie ist laut, oft hat sie Gäste, dann wird viel getrunken und das Gelächter nimmt kein Ende. Sie lacht ununterbrochen, wiehernd, kreischend, manchmal empört, als müsste sie den Saufkumpanen auf die fummeligen Finger hauen. Später, nachts, die meisten Gäste sind gegangen, und ich hab wohl schon geschlafen, braut sich drüben ein Gewitter zusammen; erste Böen, die mich im Halbschlaf umwehen, ist da was? – dann wird es stürmischer, bis hin zu einem Gejaule, das nur kurz dauert, mich aber noch lange wach hält. Jedenfalls ist es nicht zu überhören, also bin ich dabei, unfreiwillig zwar, fasziniert und abgestoßen, praktisch unbeteiligt, theoretisch aber beschäftigt mit Grübeleien, die vom aufwühlenden Sound mit wechselnden Stimmungen unterlegt werden. Den Morgen danach beginne ich mit einem leichten Kater und schwermütigen Gedanken, insgesamt befinde ich mich in einer zersetzenden Gefühlslage: Bestimmt werde ich als Parasit wiedergeboren.

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