michmaschine

Lost in Media

Monat: Januar 2017

Die Arbeit der Anderen

Es war David Foster Wallace, der im Jahr 2005 eine seltsame Rede hielt vor den Absolventen des Kenyon College. Er beginnt seine Rede mit einer kurzen Parabel, die etwa so geht: Treffen zwei junge Fische einen alten. Der Alte grüßt freundlich: “Morgen, Jungs! Wie ist das Wasser so?” Die beiden jungen Fische schwimmen weiter und nach einer Weile schaut der eine den anderen fragend an und sagt: “Was zur Hölle ist denn Wasser?” Weiterlesen

Post Mortem Politics: Wie Demokraten die Demokratie abschaffen (1)

Die Michmaschine registriert in dieser Rubrik die sich häufenden Anzeichen für die Selbstabschaffung der Demokratie.


Januar 2017

Ein Lob der Kölner Polizei für ihr großartiges Agieren an Silvester 2016! “Alles richtig gemacht!”. Nur Simone Peter fragte nach. Und erntete einen für sie bislang unbekannten Sturm an Hassmails und Morddrohungen. Rund 1.000 junge Männer (im Polizeijargon “Nafris”) vornehmlich aus dem nordafrikanischen Raum seien am Dom festgesetzt worden. Sogenanntes „racial profiling“ habe es aber nicht gegeben – also ein Vorgehen, bei dem Menschen nur aufgrund ihres Aussehens kontrolliert werden. Weiterlesen

Gefährder

Der Innenausschuss des Landtages von NRW tagt zum Fall Amri: Statt Aufklärung oder irgendwie greifbarer Ergebnisse inszenieren die Beteiligten ein Schmierentheater, irgendetwas zwischen juristischem Proseminar, Wahlkampf und Kabarett. So erlebt es der DLF-Berichterstatter Jürgen Zurheide. (Deutschland heute, 19.1., 14.23 Uhr)

Anne Will lacht herzlich in Richtung Edmund Stoiber, der sich riesig darüber freut, mit Olaf Scholz einer Meinung zu sein. Und wirklich: beide unterscheidet vor allem das Temperament, sonst sind beide im totalen Anti-Terror-Modus. Weiterlesen

Big Data vs. Null Ahnung

Es treten an: Blödmann gegen Algorithmiker. Sieht schlecht aus für den Blödmann, er ergreift seine einzige Chance und flieht, kreuz und quer durchs Internet, aber Algo ist immer schon da, wenn Blödi ankommt: “Diese Angebote könnten sie interessieren” – personalisierte Werbung. Kommt man da jemals wieder raus oder ist das aussichtslos? Zalando vermisst mich auch, letzte Woche wollten sie, dass ich den Tag mit einem Lächeln beginne. Das hab ich dann gemacht und freudlos mein Laptop angegrinst, es hat nicht geholfen; heute schreiben sie: “Fritz wo bist Du? Wir vermissen Dich!” Vor 5 Jahren hatte ich eine Jacke bestellt, sie sah auf den Bildern besser aus, gut sogar, getragen habe ich sie bisher noch nicht. Das hässliche Ding. Seitdem behandelt mich Zalando sehr herzlich, wie einen guten Freund, dabei war ich nur ein einziges Mal nett zu ihnen. Das hat gereicht für eine lebenslange Partnerschaft. Diese Beziehung ist absolut einseitig, sie klammern, diese Stalker.

Warum ich damals gedacht habe, dass ich da mal was bestellen könnte, weiß ich nicht mehr so genau. Eine schicksalhafte Entscheidung, ich glaube, ich hatte einen 20-Euro-Gutschein in die Hand gedrückt bekommen. Und zwar in meiner liebsten Kneipe, wo man gut in der Sonne sitzen konnte, in einer kleinen Sackgasse, absolute Ruhe mitten in Berlin. Dann hat Zalando seine Zentrale direkt gegenüber in einem alten Industriegebäude eingerichtet. Ab 15 Uhr strömten jetzt täglich junge Angestellte des wohl irgendwie hippen Online-Händlers in die Bar, um ihre müßigen Arbeitsgespräche in Form einer ewigen After-Work-Party fortzusetzen. Das waren aufgeschlossene Leute, clubaffine Neuberliner, äußerst nervig, aufgrund ihrer vibrierend positiven Energien, aber jedenfalls immer bereit einen Gutschein zu zücken und abgeschlafften Gestalten am Tresen ein Lächeln zu schenken. Ich war dann nicht mehr oft da und musste diesen wunderbaren Ort ganz aufgeben.

Auch in der Facebook-Timeline und in meinem absolut werbeverseuchten Mail-Account meldet sich Zalando regelmäßig mit freundlichen Botschaften. Die kümmern sich so intensiv um mich, es ist beschämend, keiner meiner anderen Freunde, – ich meine die, die ich nicht beim Einkaufen kennengelernt habe – hat mir auch nur annähernd so oft geschrieben, und ich lass einfach nichts von mir hören. Vor allem weil ich bisher zu faul war, mein Konto wieder zu löschen. Würde das helfen? Ich glaube, eher nicht. Die einzige Möglichkeit wieder vom Radar zu verschwinden, besteht wahrscheinlich darin, den digitalen Tod zu sterben. Löschung aller Konten und Profile, SIM-Karte raus, Internet abmelden, das hat mich doch sowie alles nur am Rande interessiert, jetzt steck ich bis zum Hals drin. Das funktioniert doch auch nicht, oder? Was sagt der Algorithmiker dazu? Überall im Netz blieben versprengte Teile von mir hängen, Zeichen meiner realen Existenz, vollkommen ausreichend, um mir die Werbung wieder per Post zu schicken.

Die graue Mitte

Und schon wieder strömten die Flüchtlinge über die Bildschirme direkt in unsere Wohnzimmer. Goldene Zeit der TV-Jahresrückblicke. Und immer noch ist die Angst groß, wie es scheint. Der “Kontrollverlust der Politik” wird beklagt, sowas dürfe nicht passieren, da wird dem Bürger zuerst mulmig, dann schlägt Angst in Wut und schließlich in Hass um. Das sei zu beklagen, aber nicht zu ändern, weil es quasi ein natürlicher Vorgang sei: Wem die Natur kommt, der muss ihr folgen, Druck ablassen, sonst geht’s in die Hose. Die verantwortlichen Politiker müssten schon verhindern, dass sich ihre Wähler einnässen. Sonst laufen sie ihnen weg. Und zwar aus Mitte an den Rand, wo sie alles rauslassen dürfen. So sieht das allgemeine Fazit aus: Die Politik müsse der Panik vorgreifen, indem sie so handelt, als wären die Befürchtungen der Bürger tatsächlich berechtigt. Das ist zwar absurd und um es mal in Anlehnung an das Wort des Jahres 2016 zu sagen, das wäre dann “präfaktische” Politik, die auf Ängste reagiert, die die Wähler bald haben könnten. Tatsächlich ist das schon lange gängige Praxis. Allerdings nicht, wie man denken könnte, um irrationalen Ängsten frühzeitig zu begegnen, sondern um sie zu schüren und zu instrumentalisieren für eigene Zwecke.
Angstmache ist ein Mittel der Politik seit es sie gibt und sie wurde auch in den gegenwärtigen politischen Diskurs nicht erst von den Rechtspopulisten eingeführt. Die Durchsetzung der angeblich “alternativlosen” neoliberalen Agenda, der Krieg gegen den Terror und auch die Bankenrettung nach dem Finanzcrash 2008 wären ohne sie nicht möglich gewesen. Dass die Demokratie dadurch von ihren eigenen Repräsentanten delegitimiert und geschwächt wurde, fällt ihnen jetzt auf die Füße. Der Aufstieg der Populisten wird genährt von der Unglaubwürdigkeit der Demokraten.

Das macht es so lächerlich, den Vertretern der etablierten Parteien jetzt dabei zuzuschauen, wie sie in den üblichen Talkshows ihre ehrliche Politik gegen die Lügen der Populisten verteidigen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen offensichtlichen Lügen und Zuspitzungen und Vereinfachungen, nur ist er vielleicht so fein, dass er von Nicht-Politikern kaum erkannt werden kann. Letztlich bleibt von all den Verdrehungen nur hängen, dass jeder Politiker sie benutzt, um seine Interessen zu verfolgen. Dass sich das bessere Argument durchsetzt, sei einer der großen Vorzüge der Demokratie, das wird jetzt oft von den blinden Parteisoldaten betont, denen Argumente bisher nur etwas galten, wenn es die eigenen waren. Dass gerade dieses Personal, das die Demokratie mit ihrer Ignoranz und Geltungssucht so nachhaltig beschädigt hat, nun zu ihrer Verteidigung herhalten muss, kann einem wirklich Angst machen.

© 2024 michmaschine

Theme von Anders NorénHoch ↑

%d Bloggern gefällt das: