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Monat: Juli 2016

Georg

Gegenwehr ist zwecklos. Duzen ist Pflicht. Wir werden ohne Umschweife nach unseren Vornamen gefragt. Dann stellt Georg sich vor und bietet uns an, mit den kurz vor uns eingetroffenen Gästen, denen er sein Auto geliehen hat, in die nächste größere Stadt (vermutlich Gartow oder Wittenberge) zum Essen zu fahren. Denn im näheren Umkreis gibt es keine Gastronomie.

Muff Potter ist die unmittelbare Assoziation bei Georg – allerdings in der freundlichen und liebenswerten Variante. Ein alter Herr mit weißem Vollbart und abgekämpften, von vielen Äderchen durchzogenen Augäpfeln. Seine Fahne ist unabweisbar und seine Bronchien können es mit den Quietschgeräuschen von CSU-Urgestein und Bayern-Separatist Wilfried Scharnagl allemal aufnehmen.

Kurz nach der Wende hat Georg seinen Job in Krefeld gekündigt. Mit seiner Frau kaufte er das gut erhaltene Gebäude im 105-Seelen-Dorf Wanzer am Aland in Sachsen-Anhalt http://www.ferienundwohnen.de/mieten/hotel-pension-hp31612?ps=deutschland-urlaub%2Faltmark%2Fferienunterkunft-in-aland-ot-wanzer. Vieles ist im ursprünglichen Zustand belassen. – Dann starb seine Frau. Georg hat das Haus längst seinem Sohn überschrieben. Das ehemalige kleine Gasthaus, zunächst nach der Wende noch als Dorftreffpunkt weiterbetrieben, ist heute Wohnbereich und Frühstücksraum für maximal 6 Gäste. An der Wand hängen seit Jahrzehnten diverse Geweihe und ein riesiger Wildschweinkopf. Tresen und Zapfhahn stammen vermutlich noch aus Vorkriegszeiten.

Am Morgen wirkt Georg ziemlich fit. Seine Garderobe passt zur Einrichtung: weites Shirt und Bollerhose mit Hosenträgern. Er macht selbst Frühstück und Kaffee für alle.

Seine Gestalt, seine nicht ohne eigenes Zutun beeinträchtigte Gesundheit und seine Direktheit flößen ein wenig Respekt ein. Hin und wieder streicht er seinen Gästen sanft über die Schulter, um seine Zuneigung auszudrücken – sicher könnte er selbst davon einige gebrauchen.

The long and winding road. Hoffentlich bist Du noch eine lange Weile unterwegs.

Maulhelden

Vielleicht hab ich mich zu sehr daran gewöhnt, dass es Realitäten gibt, die nicht in mein Weltbild passen. Rechtsradikale, eigentlich ja unvorstellbar, ISIS, AfD, Investmentbanker, Drohnen, kämpfende Truppen und so weiter, kenne ich zwar alle persönlich nicht, gibt es aber angeblich trotzdem. Jedenfalls hör ich viel davon. Sogar soviel, dass ich mich frage, weshalb die in meiner Wirklichkeit überhaupt nicht vorkommen. Auf der Straße sehe ich alte Leute, die gibt es hier, da ich nicht mehr im Stadtzentrum wohne, Schulkinder auf dem Nachhauseweg und Hunde, die ausgeführt werden, auch ein Hausschwein ist dabei; auffällig sind die vielen gerade zugezogenen Studienanfänger und vielleicht auch ein paar Flüchtlinge, aber da bin ich mir nicht sicher und natürlich gibt es auch noch Weddinger Türken, die werden allerdings immer seltener. Der Freundeskreis deutscher Trinker vor dem Kiosk “Tante Emma”, der von einer indischen Familie geführt wird, hält sich seit Jahren einigermaßen stabil, ich nehme an, die Fluktuation ist groß, aber es gibt wohl ausreichend Nachwuchs. Weiterlesen

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